„Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Vielfalt der Arten ist von zentraler Bedeutung für das Überleben der Menschheit…Bei der Jagd nach Maximalprofit wird …die Vergiftung ganzer Regionen in Kauf genommen. In unterentwickelt gehaltenen Ländern betreiben internationale Lebensmittelmultis durch Monokulturen, Patente auf heimische Pflanzen, Genmanipulation und Terminatorsamen die Zerstörung der Selbstversorgung und bäuerlichen Kultur sowie eine totale Lebensmittelkontrolle.“ „Ungebremster Flächengebrauch, …die Zerstörung der Regenwälder… stehen für ein Wirtschaftssystem, das ebenso wenig umweltverträglich wie menschheitsverträglich ist“. (Gegen Volksverdummung und die Zerstörung der Vernunft – Für Aufklärung!, in: Freidenker 4-12, S. 21ff)
Durch die drohenden „Freihandelsabkommen“ CETA und TTIP sahen sich die Freidenker aus Berlin und Brandenburg veranlasst eine Veranstaltung durchzuführen, die sich mit der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft befasst. Freidenker aus Berlin und Brandenburg sowie ein Fachmann vom Genethischen Netzwerk e.V. (GeN) Christof Potthof stellten am 23. Oktober 2016 ihre Rechercheergebnisse und Erkenntnisse zur Diskussion. Sachkundig moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Regina Schwarz, die gerade vom Monsanto-Tribunal in Den Haag zurückgekommen war und mit ihren Eindrücken die Veranstaltung bereicherte. 25 interessierte Teilnehmer konnten wir begrüßen.
„Schluss mit dem ´Krieg` gegen die Erde – Ökologische und soziale Aspekte der Agro-Gentechnik“
Das Thema des 1. Vortrages der Referentin Uta Mader gab Gelegenheit, einige grundsätzliche Fragen aufzuwerfen. Wie kommt es, dass der Weltagrarbericht aussagt, die Weltlandwirtschaft könne problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung ernähren, und gleichzeitig sind wir konfrontiert mit dem Industrie-Slogan „Gentechnik kann die Welt ernähren“? Nur 46% der Getreideernte dient noch unmittelbar als Nahrungsmittel. (Zukunftsstiftung Landwirtschaft, 2013)
Die Ursachen von Hunger auf der Erde sind menschengemacht (Jean Ziegler). Gentechnik ist kein Heilmittel gegen Armut und falsche Politik, sondern ein neues Geschäftsmodell der Konzernherrschaft. Es dient der „sozial völlig unkontrollierten Profitmaximierung“ (Maria Mies) mittels Zurichtung der Landwirtschaft auf Monokulturen, Chemisierung (z.B. Glyphosat trotz Gesundheitswarnung durch die Weltgesundheitsorganisation WHO) und Patentierung.
Das Saatgut der Grundnahrungsmittel wird zum Konzerneigentum. Ein gnadenloser Wettlauf um künftige Weltmarktanteile ist ausgebrochen (z.B. Baysanto). Freihandelsabkommen, die seit Jahrzehnten die Länder weltweit strangulieren, sollen heute als CETA und TTIP ein Einfallstor für die in der Bevölkerung nicht erwünschte Gentechnik in Europa werden.
Die globale industrielle Landwirtschaft ist zu einer „permanenten Kriegswirtschaft“ geworden. Ihre Waffen sind: „unter Zwang abgeschlossene Freihandelsabkommen sowie Produktionsweisen, die auf Zwang und Kontrolle beruhen, etwa durch den Einsatz von Giftstoffen oder Gentechnologie in der Landwirtschaft“ (Vandana Shiva). Die regionalen Märkte und damit die Nahrungssouveränität der Länder im „globalen Süden“ werden durch subventionierte Importe durch EU, USA, Großbritannien u.a. zerstört.
Eine gefährliche Folge der gentechnischen Landwirtschaft sind die unkontrollierbaren Genübertragungen. Beispielsweise seien schon 80% der Wildpflanzen im Bundesstaat North Dakota betroffen (Untersuchung der Universität von Arkansas, 2010).
Dazu kommt, dass die Unbedenklichkeit von Genpflanzen für den Menschen nicht als bewiesen gelten kann. Dies ist die Aussage von 300 unabhängigen Wissenschaftlern in einer gemeinsamen Erklärung im Jahr 2015. (Hilbeck et al., Environmental Sciences Europe 27: 1-6) Die Gesundheitsschäden durch das bei Genpflanzen und bei konventionellen Pflanzen verwendete Glyphosat sind bereits jetzt weltweit unübersehbar. (siehe arte-Dokumentation von Frédéric Casteignède, Aline Richard „Vorsicht Gentechnik?“ vom 11.10.16)
„Argumente der Gentechnik-Befürworter auf dem Prüfstand“
Ulf Rassmann ging in seinem Vortrag: einigen Versprechen der Agrokonzerne an den Beispielen von Bt-Toxin- (Gift aus dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis) produzierenden und Glyphosat-resistenten Mais, Soja und Baumwolle nach.
Die Steigerung des Ertrages ist nur temporär möglich. Der Vormarsch von Schädlingen, denen Bt-Toxin nicht schadet, das Auftreten anderer Krankheiten, eine Abnahme der Bodenfruchtbarkeit und abhängig vom Boden auch eine Zunahme der Erosion machen gewünschte Effekte zunichte.
Die versprochene Senkung des Einsatzes von Herbiziden wird allein durch die Statistiken ad absurdum geführt. Sich rasch entwickelnden Resistenzen wird bisher stets durch höheren Herbizideinsatz begegnet.
Ein steigender Gewinn für die Bauern tritt praktisch nur auf, wenn die Agrokonzerne die Ausweitung der Nutzung ihres Saatguts großzügig fördern. Andernfalls belasten steigende Kosten für Herbizide, Dünger und steigende Saatgutpreise das wirtschaftliche Ergebnis der Betriebe.
Eine Einsparung von Energie wird nur aufgrund von eingespartem Traktor-Diesel durch den Verzicht auf das Pflügen vorgerechnet. Eine Gegenrechnung von Energiekosten zur Herstellung von Chemikalien und deren Ausbringung findet nicht statt.
Die Frage, ob die Ernte als Nahrungsmittel brauchbar ist, wird von den Agrokonzernen nicht gestellt. So wird beispielsweise behauptet, Glyphosat als Pflanzengift schade den Säugetieren nicht. Da es aber viele Mikroorganismen schädigt, kommen auch Säugetiere zu Schaden, insbesondere Wiederkäuer, denn z.B. die Darmflora ist für alle Säugetiere, inclusive dem Menschen, überlebenswichtig.
Die Verantwortung der Wissenschaftler ist bereits Thema bei den Freidenkern gewesen. Am Beispiel Glyphosat fokussiert sich die Verleugnung von Studien, die die Unbedenklichkeit des Wirkstoffs in Frage stellen, durch „angesehene“ Wissenschaftler. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist inzwischen wegen Falschauslegung von Studien verklagt worden. Autoren, die die Literatur bewertet haben, stellen eine einseitige Darstellung in der Fachpresse fest. Kommen Wissenschaftler mit unerwünschten Resultaten, werden diese dort nicht publiziert. Um diesen Zustand zu überwinden wurden auf europäischer Ebene übergreifende Studien initiiert.
Die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen, die Bt-Toxin produzieren und/oder Glyphosat-resistent sind, gestattet keine nachhaltige Landwirtschaft.
„Das Blaue vom Himmel – neue Gentechnik und alte Fragen: Versprechen, Risiken…“.
Mit einem kleinen Diskurs zu gentechnischen Methoden begann Christof Potthof seinen Vortrag Bei den bisher angewandten klassischen Verfahren der Gentechnik wurde der Gentransfer mit einem Agrobacterium oder mittels Gen-Kanone genutzt. Die bisher kommerziell genutzten Pflanzen wurden durch das Einfügen von Gensequenzen – oft aus anderen Lebewesen – erzeugt.
Jetzt sind weitere Technologien, wie die CRISPR/Cas9 (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, Cas9 ist eine bakterielle Endonuclease) -Methode in der Erprobung. Mit dieser Technologie werden fremde Gene nicht mehr zwangsläufig eingefügt. In den einfacheren Varianten des Verfahrens sollen vorhandene Gene umgeschrieben werden, inaktive Gene können so zum Beispiel aktiviert oder aktive Gene abgeschaltet werden. Um diese und weitere neue Methoden gibt es jetzt ein juristisches Tauziehen; die Industrie behauptet, dass es sich nicht um Gentechnik handelt, da ja keine fremde Erbinformation mehr eingesetzt wird. Das Gen-ethische Netzwerk hat als Teil eines Bündnisses den Anbau solcher Pflanzen in Deutschland durch Einreichen einer Klage vorerst gestoppt.
Die Versprechen der Industrie sind die gleichen, wie sie schon von den klassisch gentechnisch veränderten Pflanzen bekannt sind: höhere Erträge, weniger Herbizide, weniger Pestizide oder eine bessere Verträglichkeit von Hitze beziehungsweise trockenem Klima. Die Versprechen sind bislang weder für die neuen noch für die alten gentechnisch veränderten Pflanzen erfüllt worden.
Für die Abschätzung gesundheitlicher Risiken des Konsums von klassisch gentechnisch veränderten Pflanzen durch den Menschen fehlen weiter epidemiologische Studien und es ist nicht absehbar, dass solche durchgeführt werden sollen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass es in Europa derzeit praktisch keine Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen im Handel gibt. In den USA sind derartige Lebensmittel zwar erhältlich, nur fehlt dort die Kennzeichnung, so dass niemand rekonstruieren kann, ob er sich ohne Gentechnik ernährt. Mehr als bisher sollten Langzeit-Studien zu Rate gezogen werden. Aus denen können sich Belege für gesundheitliche Schäden und Risiken ergeben.
Die Schlussfolgerungen sind:
– keine Gentechnik auf die Teller
– keine Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen
– Risikoforschung stärken
– Gentechnik-Regulierung und Einzelfallbewertung beibehalten
– neue gentechnische Verfahren mit in die Regulierung aufnehmen.
Die sich anschließende Diskussion zeugte vom regen Interesse der Gäste.
Um die vielbeschworene Freiheit der Forschung sieht es schlecht aus. Drittmittel werden nur demjenigen zugeteilt, der für die Industrie arbeitet. Die erhobenen Daten sind lange nicht mehr jedem zugänglich. Um an sicheres Material für Untersuchungen mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu kommen, müssen unabhängige Wissenschaftler findig sein, denn den Bauern wird es von den Konzernen vorgeschrieben, an wen sie ihre Ernte verkaufen dürfen.
Die Anwendung der Gentechnik in der Medizin führt zunächst zu Patenten und hohen Kosten und sorgt vor allem für gefüllte Kassen bei Pharmakonzernen.
Interessant war auch die Frage, ob denn die Mächtigen selbst keine Angst vor den Folgen ihres Handelns haben. Nein, denn sie sind befangen in ihrer Gedankenwelt. Außerdem gibt es auch in der Welt der Wissenschaft einen Mainstream, dem sich jeder anpassen muss, der „etwas werden“ will.
Betrachtet man die Landwirtschaft insgesamt, so ist die Agrogentechnik wohl nur die Spitze des Eisberges. Auch mittels erweitertem Sorten- und Patentrecht wird versucht, die Marktposition von Konzernen zu sichern. Dem kann nur durch eine Art weltweites „open-source project“ für eine freie Verfügbarkeit von Saatgut begegnet werden.
Das erste Land, in dem Gentechnik in der Landwirtschaft und Glyphosat verboten sind, ist Sri Lanka. Der Arzt Channa Jayasumana, der nierenkranke Bauern untersuchte, konnte diesen Erfolg mit jahrelanger beharrlicher Arbeit erreichen.
Erwähnt wurde zudem, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen für kommerzielle Zwecke in der Russischen Föderation verboten ist.
Eine militärische Nutzung der Gentechnik kann bisher nicht bewiesen werden, aber die Bundeswehr befasst sich mit gentechnisch veränderten Erregern, um im Falle eines Einsatzes biologischer Waffen Abwehrmethoden parat zu haben. Trotz der international gültigen Biowaffen-Konvention kam es ausgerechnet 1999 in Jugoslawien zu einer Epidemie des aus Mexiko stammenden Maiswurzelbohrers.
Es gab auch Fragen, die nicht beantwortet werden konnten, z.B. inwieweit die Hydroponik (Hydrokultur ohne Erde, nur in Nährlösung) mit der Gentechnik verknüpft ist?
Die engagierten Beiträge und Fragen der Teilnehmer im Anschluss an die Vorträge der Referenten machten deutlich, wie intensiv sich die Menschen mit den Risiken von Gentechnik und Agroindustrie für die Natur und die menschliche Gesundheit auseinandersetzen.
Die geplante Einführung der Freihandelsabkommen TTIP und CETA und die zunächst lächerlich anmutende „Chlorhühnchen“-Diskussion hat die Menschen in Europa sensibilisiert. Es ist ihnen nicht egal, mit welchen Methoden unsere Nahrungsmittel auf der Welt produziert werden und mit welchen tatsächlichen Motivationen multinationale Konzerne angeblich den Hunger in der Welt beseitigen wollen.
Das Monsanto-Tribunal (14.-16.10.2016 in Den Haag) forderte ein internationales Strafrecht, mit dem multinationale Konzerne für Verbrechen gegen die Menschenrechte und Naturzerstörung belangt werden können.
„Es ist notwendig, dass FriedensfreundInnen und GegnerInnen der konzerngesteuerten Globalisierung die gemeinsame Kriegslogik in Wirtschaft und Militär erkennen. Nur so kann sie wirksam bekämpft werden“ (Maria Mies).
« Wer schrieb „Der Liberalismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“? – „Es geht um nicht weniger als den Erhalt des öffentlichen Schulwesens!“ »
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