1. Der Bericht zur Lage der Nation könnte dramatischer kaum sein und ist getragen von dem Generalvorwurf: Die Weltmacht USA hat ein „Massaker“ an amerikanischen Interessen zugelassen:
„Viele Jahrzehnte haben wir ausländische Industrien auf Kosten der amerikanischen Industrie reicher gemacht, die Armeen anderer Länder finanziell unterstützt, während wir unsere eigene Armee ausgehungert haben …Wir haben Billionen und Aberbillionen von Dollar im Ausland ausgegeben, während die amerikanische Infrastruktur zerfallen ist. Wir haben andere Länder bereichert, während sich der Reichtum, die Stärke und das Selbstbewusstsein unseres eigenen Landes sich über dem Horizont aufgelöst hat.“ (Trump, Antrittsrede)
2. Diese Kritik zielt auf mehr als das demokratisch übliche Absetzen von den Fehlern der Vorgänger-Regierung, um für Vertrauen in die Neuen an der Regierung zu werben. Das ist ein Schuldspruch über die gesamte poltische Elite, die eigene Partei eingeschlossen:
„Zu lange hat eine kleine Gruppe in der Hauptstadt unseres Landes von der Regierung profitiert und das Volk hat die Kosten getragen. Washington blühte, aber das Volk hat nichts von dem Reichtum gehabt.“ (Ebenda)
Das hat durchaus Analogien zur Kritik der deutschen Faschisten an der Weimarer Republik, im Namen des „rechtschaffenen“ Volkes eine Herrschaft einzufordern, die das Wohl der ganzen Nation befördert statt den Interessen einer privilegierten Kaste zu dienen. (Gemeint ist hier der politische Faschismus und nicht die aktuell wieder verbreitete moralische Vorstellung vom Faschismus als „Ausgeburt des Bösen“, dem jede staatstragende Rationalität abgesprochen wird.) Und: Ähnlich wie der deutsche Politiker Hitler zu seiner Zeit entdeckt auch der amerikanische Politiker Trump im Streit der konkurrierenden Parteien nur berechnenden Opportunismus, der nur Worte macht, aber jede Tatkraft im Einsatz für die Interessen der Nation vermissen lässt:
„Wir werden keine Politiker mehr akzeptieren, die nur reden und keine Taten setzen, die sich ständig beschweren, aber nie etwas dagegen tun.“ (Trump, Antrittsrede)
3. Wer sich so wie Trump auf das Volk bezieht, hat Großes mit ihm vor und weiß eben deshalb die Produktivkraft der nationalen Moral sehr zu schätzen.
„Die heutige Zeremonie, jedoch, hat eine ganz besondere Bedeutung. Denn heute übergeben wir die Macht nicht nur von einer Regierung an die andere oder von einer Partei an die andere, sondern wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an Euch, das Volk zurück.“
Dass der amerikanische Präsident Vorsteher einer kapitalistischen Klassengesellschaft ist, der mit seinem Aufbruchsprogramm seinem Volk höchst Unterschiedliches verspricht – den einen mehr Freiheit beim Profitmachen, den anderen mehr Arbeit („jobwunder“) für diesen Profit – darüber haben die „einfachen Leute“ in ihrer Eigenschaft als geehrtes Volk wie selbstverständlich hinwegzusehen. Es geht um Höheres, es geht eben um: „America first“:
„Ein neuer Nationalstolz wird uns bewegen, unseren Blick erheben und unsere Gräben schließen.“
„Amerika wird wieder anfangen zu gewinnen – gewinnen wie nie zuvor.“
„Wenn Amerika geeint ist, dann ist Amerika absolut unaufhaltsam.“ (Ebenda)
4. Diese ebenso penetrante wie berechnende Verehrung des einfachen amerikanischen Volkes hat ersichtlich etwas Totalitäres: Trump nimmt das verbreitete Misstrauen der „kleinen Leute“ gegen „die da oben“, die ohnehin „nur in die eigene Tasche wirtschaften“, auf, um sie so ganz umstandslos auf sein Aufbruchsprogramm zur Rettung der Nation einzuschwören. Doch im Unterschied zum Deutschen Reich eines Adolf Hitler, das Weltmacht werden wollte, sind die USA Weltmacht, und zwar die einzige, die nach dem Ende der Sowjetunion dieses imperialistische ranking realiter für sich beanspruchen kann. Eben deshalb ist der ganze Rest der Staatenwelt von dem nationalen Aufbruchsprogramm der USA betroffen gemacht, denn Trump verspricht ein Amerika, das sich radikal neu auf die Durchsetzung seiner nationalen Interessen verpflichtet und damit ein neues Kapitel Weltpolitik schreiben will:
„Gemeinsam werden wir den Kurs Amerikas und den der Welt für viele, viele Jahre bestimmen.“
5. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Mit dieser Ankündigung befindet sich Trump durchaus in guter amerikanischer Tradition, auch seines Vorgängers Barak Obama, der 2014 in einer Rede an der Militärakademie Westpoint das Folgende von sich gab:
„Amerika muss immer auf der Weltbühne führend sein.“
Was ein Programm der politischen Unterordnung des Restes der Staatenwelt bedeutet, ein Programm, von dem sich die USA von nichts und niemanden abbringen lassen:
„Die internationale Meinung ist wichtig, aber Amerika sollte niemals um Erlaubnis bitten, um unsere Leute, unsere Heimat und unsere Lebensweise zu schützen.“ (http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014)
6. Das in dieser Obama-Rede angekündigte „Projekt für ein amerikanisches Jahrhundert“, das in der hiesigen Presse nur wenig Beachtung fand, wird nun von dem neuen US-Präsidenten – so kann man das auch sehen – mit Leben erfüllt. Und das findet Beachtung, und zwar weltweit, weil die neue US-Administration sehr umstürzlerische Vorstellungen davon hat, wie das „neue amerikanische Jahrhundert“ auszusehen hat:
– Da die USA Konkurrenzniederlagen nicht länger hinnehmen wollen, wird mit staatlichen Sanktionsmaßnahmen gedroht, um der amerikanischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, um noch dazu mit einer „radikalen Senkung der Unternehmenssteuern“ den Kapitalstandort USA eine neue Attraktivität zu verleihen.
– Der Union der Europäer wird ganz offen, also höchst undiplomatisch, zu verstehen gegeben, dass man Bestrebungen zum Zusammenbruch dieses Bündnisses befördern will. Denn das sei – so der Präsident – eigens „zur wirtschaftlichen Schwächung der USA“ erfunden worden. Einer USA, die mit dem Militärbündnis namens NATO zudem noch die machtvolle Grundlage dafür stiften, dass sich die Europäer in der Welt so viel herausnehmen können. Auch das soll sich zum Vorteil der amtierenden Weltmacht ändern.
– Diese sieht sich auch befugt, den Atommächten Russland und China bestimmte territoriale Ansprüche zu bestreiten und Russland aufzufordern, die eroberte Krim wieder an die Ukraine zurückzugeben.
– Eine Eroberung, die im Falle des Staates Israels per Machtwort des US-Präsidenten (und gegen die Beschlusslage der UNO) umstandslos ins Recht gesetzt wird: Die Palästinenser brauchen keinen eigenen Staat, sie haben sich gefälligst mit der Vorherrschaft Israels zu arrangieren, das als militärischer Vorposten der USA seine guten Dienste geleistet hat und weiter leisten soll.
7. Wie an den laufenden bzw. geplanten Maßnahmen zu sehen, hat das entschiedene Programm eines „America first“ weder etwas mit „Abschottung“ noch einem neuen „Isolationismus“ zu tun. Auf solch einen Unsinn kommen nur die Europäer, weil ihnen die Art „weltweiter Verantwortung“ durch die USA abhanden kommt, bei der sie mit ihren Konkurrenzbemühungen gegen ihre Führungsmacht so erfolgreich vorangekommen sind. Jetzt droht das europäische Bündnis aufzufliegen, wobei es nicht erst den Affront der Amis brauchte, um offen zu legen, dass die Union der Europäischen Staaten eben keine vereinigte Staatsmacht ist, die sich nach innen wie in der Konkurrenz zu anderen Staaten wirksam behaupten kann.
8. Ein kriegsträchtiges Programm, was die USA da auf die weltpoltische Tagesordnung gesetzt haben? Na klar, denn nur der erkennbare Willen, für seine Interessen zum Äußersten zu gehen, führt die Veränderungen herbei, die ein weiteres „amerikanisches Jahrhundert“ sicherstellen sollen. Die Vorbereitungen z. B. für einen möglichen Krieg mit China oder Russland werden längst betrieben, Gegenreaktionen laufend entsprechend, und auch die „Schurkenstaaten“ Iran und Nordkorea haben sich mit Demonstrationen ihres Machtwillens bemerkbar gemacht, was beweist, dass die „Botschaften“ der neuen US-Regierung verstanden worden sind. Doch in den internationalen Beziehungen der Staaten kommt es schwer darauf an, wie die Machtmittel desjenigen beschaffen sind, der entschlossen ist, sich das Machtstreben des Konkurrenten nicht mehr gefallen lassen zu wollen. Der neue Mann im Weißen Haus setzt ganz auf die beeindruckende Durchschlagskraft der amerikanischen Macht, wenn er sein Volk mit nationalistischem Pathos aufhetzt:
„Erlaubt niemandem, euch zu sagen, dass es nicht zu schaffen ist. Keine Herausforderung kann sich mit dem Herz und dem Kampfeswillen und dem Geist Amerikas messen. Unser Land wird wieder blühen und gedeihen.“ (Trump, Antrittsrede)
Dafür haben die USA schon viele Kriege geführt.
© HerrKeiner.com 20. Februar 2017
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