Im Glauben von Christen wie Jon Sobrino SJ (*1938) ist Jesus von Nazareth (+30 n. u.Z.) „der endgültige, verbindliche und eschatologische Mittler des Gottesreiches“, doch habe es vor ihm und nach ihm auch andere Mittler gegeben. Jesus habe, so Sobrino SJ, „der Gewalt die Utopie des Friedens als ein zu verwirklichenden Vorhaben und gleichzeitig als ein Mittel der Umsetzung entgegen“. Der Friede, der Einsatz für den Frieden und die innere Verbindung mit der Friedensutopie würden „zu den vorrangigen Forderungen Jesu“ gehören. Mit Sobrino SJ insistiert Jesus die Friedensutopie aus der Überzeugung, dass diese „auch wenn sie nie ganz realisierbar ist, gutes hervorbringt und die Menschen und ihre Verhältnisse humanisiert. Auf jeden Fall kann ohne utopische – und deshalb >gnadenvolle< – Gesten des Friedens die Spirale der Gewalt, die eine Geste des >Gesetzes< ist, nicht durchbrochen werden“. Sobrino SJ ist einer der letzten Vertreter der Theologie der Befreiung, die, wie Noam Chomsky (*1928) in seinem letzten Buch feststellt, mit Hilfe der US-amerikanischen Streitkräfte als besiegt gilt – nota bene auch bei den privilegierten Theologen Deutschlands und Österreich.
Zu den Mittlern aktiver Hoffnung im Sinne von Sobrino SJ gehören Óscar Romero (1917-1980) ebenso wie Fidel Castro (1926-2016) oder Papst Johannes XXIII. (1881-1963, Papst seit 1958). Johannes XXIII. stellte aktiv den Frieden als Aufgabe der Kirche in den Vordergrund. Er war ein Mittler aktiver Hoffnung der Menschheit, weshalb ihm Kommunisten den größten Respekt entgegen gebracht haben. Johannes XXIII. (d. i. Angelo Giuseppe Roncalli aus Sotto il Monte bei Bergamo) war bald 77 Jahre alt, als er, seit 1953 Kardinal und Patriarch von Venedig, am 28. Oktober 1958 zum Nachfolger von Pius XII. (1876-1958, Papst seit 1939) gewählt wurde. Seine Namenswahl war kein Rückgriff auf Johannes XXII. (1316-1334), der die urchristliche Begründung des franziszeischen Armutsideal verworfen hat, sondern sollte an den vom Neuen Testament überlieferten legendären Bußprediger Johannes den Täufer erinnern.
Der Amtsantritt von Johannes XXIII. fällt in die Zeit des Kalten Krieges. Mit dem 1949 abgeschlossenen NATO-Kriegspakt, dessen aktives Mitglied die aufrüstende und heute wieder weltweit Kriege führende Bundesrepublik Deutschland seit 1955 ist, wurden rund um die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten Militärstützpunkte errichtet. Als Schutz vor diesem Aggressionspotential entstand 1955 der Warschauer Pakt. Das von der Sowjetunion vorgeschlagene europäische Sicherheitssystem wurde von den Leitmedien des Westens als kommunistische Propaganda denunziert. In dieser Situation appelliert Johannes XXIII. noch vor seiner Inthronisation in seiner ersten Rundfunkbotschaft für Frieden und Einigkeit zwischen den Nationen und stellt die Frage: „Warum werden die Früchte des menschlichen Geistes und die Reichtümer der Völker weit mehr zur Herstellung von Waffen, verderbenbringenden Instrumenten des Todes und der Zerstörung benutzt als zur Hebung des Wohlstandes aller Klassen, besonders der Armen? Die Völker verlangen nicht derartige riesige Kriegsinstrumente, die nur mörderische Zerstörung und ein allgemeines Massaker verursachen können, sondern sie fordern Frieden“. Nach dem Jahreswechsel zu 1959 kündigt Johannes XXIII. die Einberufung eines neuen Generalkonzils der Kirche an. Sein erstes Rundschreiben Ad Petri Cathedram. Rundschreiben über die Förderung der Wahrheit, der Einheit und des Friedens im Geiste der Liebe vom 29. Juni 1959 richtet sich an die Regierungen der Welt und an die ganze Menschheit, Eintracht und Frieden zu halten.
Johannes XXIII. beabsichtigte, seine Kirche von ihrem ebenso profitorientierten wie fatalen Zusammengehen mit dem herrschenden Geschäftssystem des Imperialismus und vom Antikommunismus zu lösen. Im Grundsatz hätte das die Umkehrung der Geschichte seiner Kirche hin zu den Wurzeln des Christentums bedeutet. Aber von Anfang an stifteten innerhalb der Kirche die von den Imperialisten gefütterten Ratten Zweifel und Unruhe. Der Regensburger katholische Theologe und Nationalökonom Franz Klüber (1913-1989) hat nachgewiesen, dass Gustav Gundlach SJ (1892-1963) die Haltung von Pius XII., es sei der atomare Waffengebrauch aus keinem Grunde erlaubt, verfälscht hat. Gundlach SJ wie der in der Bundesrepublik sowohl in Kirche wie in der Politik einflussreiche Johannes Baptist Hirschmann SJ (1908-1981) und andere Atomkanoniere im geistlichen Habitus erläuterten in prominenten Publikationsorganen ihre Theologie des Todes und unterstützten die vom Katholiken Konrad Adenauer (1876-1967) vorangetriebene Militarisierung Westdeutschlands. Für das in bewährter reaktionärer deutscher Tradition interpretierte westliche Wertesystem sei es sittlich erlaubt, gegebenenfalls Atomwaffen einzusetzen.
Amerikanische Söldner sind im April 1961 in der Schweinebucht auf Kuba eingefallen. Das war ein Fehlschlag, aber ein schon vereinbarter sowjetisch-amerikanischer Gipfel musste vertagt werden. Die USA verschärfte mit dem Vorwand, Kuba sei ein Stützpunkt des Kommunismus für dessen Eindringen in ganz Amerika, seine Drohungen. Die Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen in Kuba zur Verteidigung des Landes bei einem US-Angriff entsprach dem Völkerrecht. Das revolutionäre Kuba war bereit zum Kampf gegen die bevorstehende US-amerikanische Invasion. Ohne jede Beratung mit Kuba ging Nikita S. Chrustschow (1894-1971) aber einen Handel mit John F. Kennedy (1917-1963) ein. Der US-Präsident war, wie sich Andrei A. Gromyko (1909-1989) an ein Gespräch mit ihm erinnert, von Kriegstreibern und einer einflussreichen antisowjetisch – israelischen Lobby umgeben. Am 28. Oktober 1962 begann die Sowjetunion mit dem Abzug der Kuba zur Verfügung gestellten Raketen, die USA ihrerseits zog ihre Raketen aus der Türkei ab und verpflichtete sich, keine militärische Aggression gegen Kuba vorzunehmen. In Europa wurde am 13. August 1961 mit der militärischen Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik die imperialistische Aggressionsstrategie vorübergehend gestoppt.
Das II. Vatikanische Konzil begann am 11. Oktober 1962 (bis 8. Dezember 1965). Am 11. April 1963 unterzeichnete Johannes XXIII. die Enzyklika Pacem in terris, wenige Wochen darnach ist Johannes XXIII. verstorben (3. Juni 1963). Die Codeworte der Enzyklika sind Freiheit und Frieden, die in ihrer Unteilbarkeit, obschon von großen Denkern ebenso wie von großen Gesetzgebern in der Geschichte gemeinsam gedacht, bis in die Gegenwart herauf der Verwirklichung harren. Die Enzyklika Pacem in terris gibt in dieser Zeit des Chaos eine Zielsetzung, die nicht im Formalen und schon gar nicht im politikwissenschaftlichen Universitätsgewäsch stecken bleibt. Im Grundsatz fordert sie die Menschenrechte ein, also Freiheit der Menschen von Ausbeutern und Ausgebeuteten, Freiheit der Menschen von Unterdrückern und Unterdrückten, friedliche und gleichberechtigte Entwicklung für alle Menschen. Konkret forderte diese Enzyklika die Beendigung des Wettrüstens, das Verbot der Kernwaffen und Einstellung der Versuche mit ihnen. Johannes XXIII. war nicht zaghaft, er wünschte, dass die Kirche die Zeichen der Zeit aufgreift und sich im Sinne von Jesus von Nazareth und nicht im Geiste der Theologen des Opportunismus in der Welt und für die Welt einsetzt. Die Kirche solle das Gespräch mit „allen Menschen guten Willens“ suchen. Johannes XXIII. vergegenwärtigt sich die Offenbarung des Johannes: „Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund speien“.
Papst Paul VI. (1963-1978) konnte als Nachfolger von Johannes XXIII. nur für wenige Jahre die Friedenspolitik der katholischen Kirche fortsetzen.17 Innerhalb des hierarchischen Systems waren die Friedenskräfte offenkundig zu wenig wachsam, sie lancierten sich grosso modo in eine passive Position hinein. Zehn Jahre nach der Enzyklika Pacem in terris kostete die von den USA vorangetriebene und gelenkte Konterrevolution gegen das freigewählte sozialistische Regime von Salvador Allende (1908-1973) 30.000 Menschen das Leben, brachte 100.000 in die Konzentrationslager und zwang 1 Millionen in die Emigration, von denen viele in den sozialistischen Ländern Aufnahme fanden. Zur selben Zeit wateten die USA im Blut ihres Völkermordes in Vietnam.
Die Enzyklika Pacem in terris wurde von Friedenskämpfer und Kommunisten in aller Welt begrüßt. Sie bedeutete ihnen Hoffnung, mit der katholischen Kirche einen Bündnispartner im gemeinsamen Kampf um die revolutionäre Veränderung der Welt zu gewinnen. Kennzeichnend ist die Botschaft des Vorsitzenden des Präsidiums des auf dem 2. Weltfriedenskongress in Warschau im November 1950 zur Förderung der friedlichen Koexistenz und der nuklearen Abrüstung gegründeten Weltfriedensrates John Desmond Bernal (1901-1971) vom 11. April 1963:
„Die Friedenskräfte in der ganzen Welt begrüßen hocherfreut die historische Enzyklika >Pacem in terris< Seiner Heiligkeit. Die Enzyklika gibt ihnen großen Mut und neue Hoffnung bei ihrem Wirken für die hohen humanitären Ziele, die seine Heiligkeit aufzählen: sofortige Einstellung der Kerntests, Ächtung der Kernwaffen, Beendigung des Wettrüstens und Fortschritte auf dem Wege zur vollständigen und kontrollierten weltweiten Abrüstung, zur Abschaffung von Rassendiskriminierung und zur Gleichberechtigung der Menschen. Der herzergreifende Appell Seine Heiligkeit nach Lösung sämtlicher Streitfragen zwischen den Völkern auf Grund von Verhandlungen und der Aufruf zur Verständigung und Zusammenarbeit für den Frieden zwischen allen Menschen guten Willens im Namen unseres gemeinsamen Menschentums legt Zeugnis ab für die weise Voraussicht und tiefe Liebe Seiner Heiligkeit zur Menschheit.
Dieser Enzyklika wird man stets voll tiefster Dankbarkeit gedenken. Sie wird nicht nur alle jene, die für den Frieden wirken, sondern auch Millionen andere, denen es bisher an Vertrauen und Hoffnung dafür mangelte, inspirieren. Der Weltfriedensrat hat sich vierzehn Jahre lang unermüdlich für diese hohen Ziele eingesetzt und wird weiterhin alles in seiner Macht Stehende tun, damit die weisen Worte Seiner Heiligkeit bald durch die Handlungen aller Menschen lebendige Wirklichkeit werden“.
Mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. (Karol Wojtyla,1920-2005) und dem deutschen Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger, *1927) hat die Katholische Kirche wieder Lakaien des Imperialismus mit der Tiara gekrönt. Johannes Paul II. warf auch mit seiner Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991) die katholische Soziallehre, die einen dritten Weg zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und Sozialismus versucht hat einzuschlagen, in die „Mottenkiste der Geschichte“, wie das Martin Rhonheimer (*1950) als katholischer Theologe, als Vertreter von Opus Dei in Wien und Rom und deklarierter Gegner von Papst Franziskus (*1936) in einem Blatt des internationalen Finanzkapitals triumphierend feststellt.20 Der Schweizer Theologe Hans Küng (*1928) schreibt milde von der Epoche der Restauration, die mit Karol Wojtyla und mit dem von ihm 1981 als Oberinquisitor nach Rom berufenen Joseph Ratzinger begonnen habe.21 In der Gegenwart kann aber Papst Franziskus (*1936), der das Papstamt 50 Jahre nach Pacem in terris angetreten hat, wieder als ein aktiver Mittler eingeschätzt werden.
« Zivilisten aus Ost-Allepo fliehen nach West-Allepo – Aus dem Zettelkasten – 2.12.2016 »
No comments yet.
Sorry, the comment form is closed at this time.