Bericht von Tilo Gräser
(Erstveröffentlichung am 13.01.2019 auf sputniknews.com, © Sputnik / Tilo Gräser)
Menschen aus vielen Ländern haben am Sonntag der vor 100 Jahren ermordeten Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, gedacht. Die Veranstalter haben deutlich mehr Teilnehmende an der traditionellen Veranstaltung als im Vorjahr registriert.
Aus Island, Schweden, Frankreich, Österreich, Nepal, Südkorea, Togo, auch aus Russland und anderen Ländern kamen Menschen am Sonntag zur traditionellen Demonstration in Berlin zum Gedenken für die vor 100 Jahren ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Deutlich mehr als 10.000 Menschen waren trotz des regnerischen Wetters dabei, so die Organisatoren gegenüber Sputnik, fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.
Vor allem deutsche, türkische und kurdische linke Organisationen und Splittergruppen prägten das Bild der Demonstration. Neben den Fahnen der stark vertretenen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) wehten auch solche der Partei Die Linke. Deren Führungsspitze hatte es wie in den letzten Jahren vorgezogen, vor der umstrittenen Demonstration Blumen an dem Gedenkstein mit der Aufschrift „Die Toten mahnen uns“ auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde niederzulegen. Dort befindet sich die „Gedenkstätte der Sozialisten“ mit den Gräbern der beiden Ermordeten.
Das war das Ziel der vielen Tausenden mit ihren Fahnen und Transparenten, mit Losungen wie „Das 21. Jahrhundert wird dem Sozialismus gehören“, „Niemand ist vergessen“, „Gedenken an Karl und Rosa heißt 2019: Solidarität mit den Gelbwesten!“ und anderen, zum Teil pseudorevolutionären Parolen.
Erinnerung an die Novemberrevolution 1918
Mittendrin im langen Demonstrationszug trugen Arbeiter von der Siemens-Turbinen-Fabrik in Berlin-Moabit ein großes Transparent, das an die Novemberrevolution 1918 erinnerte. Es waren Mitglieder der Gewerkschaft IG Metall. „Unser Betrieb, früher AEG, mit heute etwa 3500 Leuten war damals am 9. November 1918 mit führend beteiligt bei der Auslösung des Generalstreiks und des Aufstandes“, berichtete Gernot Wolfer, Fräser und Vertrauensmann in der Fabrik.
Das Transparent sei im vergangenen Jahr entstanden, als in Moabit an die Ereignisse vor 100 Jahren erinnert wurde. Es sei mit Unterstützung Dutzender Kollegen angefertigt worden, um die Ergebnisse der Revolution ins Gedächtnis zu rufen, vom beendeten Krieg und der abgeschafften Monarchie über das Wahlrecht für alle bis zum Recht auf Versammlungsfreiheit und die Pressefreiheit. Zuvor habe es eine breite Diskussion dazu in der Fabrik gegeben, die früher als „Rote Turbine“ bekannt gewesen sei.
Zu dem Eindruck, dass deutsche Arbeiter eher selten an die Kämpfe der deutschen Arbeiterbewegung erinnern, meinte Wolfer: „Wir sind über 3500 Beschäftigte aus über 30 Ländern allein in der Turbinenfabrik in Moabit, also eine internationale Belegschaft in einem internationalen Konzern. Insofern ist es für uns auch wichtig, daran zu erinnern, dass die internationale Arbeiter-Einheit notwendig ist.“
Wichtige Lehren der Geschichte
Weil diese Einheit vor über 100 Jahren gefehlt habe, habe der Erste Weltkrieg nicht verhindert werden können, stellte der Gewerkschafter klar, „weil sich viele von dem Nationalismus in verschiedenen Ländern beeinflussen ließen“. Damals habe es zwei Jahre gedauert, bis 1916 vielen klar geworden sei: „An diesem Krieg profitieren nur die Konzerne. Warum sollen wir uns mit französischen, englischen und russischen Arbeitern gegenseitig an die Gurgel gehen? Wir haben doch einen gemeinsamen Feind.“
Deshalb sei es für ihn und seine Kollegen eine Selbstverständlichkeit, angesichts der heute wieder wachsenden Kriegsgefahr und Rechts-Entwicklung genau daran zu erinnern. „Das ist eine der Lehren: Haltet zusammen! Lasst Euch nicht spalten in verschiedene Nationalitäten! Uns gehört die Welt irgendwann!“
„Kein Krieg mit Russland“ stand auf einem kleinen Schild, das eine Frau mit sich trug. Das Schild hätten ihre Kinder bereits vor fast zehn Jahren gemacht, erzählte die Berlinerin gegenüber Sputnik. Es sei eine Grundsatzfrage, „wie wir mit unseren Nachbarn umgehen“, beschrieb sie das Motiv dafür. „Die Demo ist wie die Ökumene der Linken. Da muss man dabei sein – und gerade jetzt!“ Luxemburg und Liebknecht würden mahnen, wohin sich die Gesellschaft wieder bewege.
Warnung vor der Kriegsgefahr durch die Nato
Ein Transparent forderte klar: „Frieden mit Russland statt weiter in den dritten Weltkrieg! Deutschland: Raus aus der Nato! Nato: Raus aus Deutschland!“ Witold Fischer aus dem thüringischen Jena gehörte zu den Trägern. Er sei Mitglied im Freidenker-Verband, erklärte er gegenüber Sputnik, der schon lange die Nato als größte Bedrohung für den Frieden ansehe. „Und die gegenwärtige Hetzkampagne gegen Russland geht ja eindeutig von der Nato aus“, fügte er hinzu.
Fischer erinnerte an den historischen Verrat der Sozialdemokratie am Frieden und an ihren eigenen Mitgliedern vor 100 Jahren. „Die Schande der SPD soll man sich immer ins Gedächtnis rufen“, begründete er, warum er der beiden ermordeten Kommunisten gedenkt. Das dürfe nicht in Vergessenheit geraten. „Diese Partei hat sich in den 100 Jahren überhaupt nicht geändert.
Vor allem junge Menschen bestimmten die Demonstration, zum Teil in gut geordneten Gruppen, die teilweise an die Fahnenträger-Blöcke der einstigen offiziellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstrationen in der DDR erinnerten. Einige von ihnen gaben sich betont kämpferisch, reckten selbst auf dem Friedhof ihre Fäuste und machten einen etwas militanten Eindruck, als sie „Rot Front!“ ausriefen. „Die DDR war unser Staat – Alle Macht dem Proletariat“, skandierten zuvor deutlich nach 1989 Geborene.
Regen-Kapuzen als Vermummung missverstanden
Aber es waren alle Generationen vertreten, so eine etwas ältere Frau aus dem Berliner Randgebiet. Sie sei „hauptsächlich für Rosa“ dabei, beschrieb sie ihr persönliches Motiv, und zeigte auf die rote Fahne in ihrer Hand und fügte hinzu: „Wegen dieser Fahne! Da gehöre ich hin.“ Sie bedauerte, dass heute zu wenig nachdenken würden darüber, was in der Gesellschaft geschieht. Deshalb seien Luxemburg und Liebknecht auch heute wichtig.
Die Polizei war in diesem Jahr wieder mit einem großen Aufgebot vor allem an Einheiten in Kampfuniform dabei. Es habe aber keine größeren Zwischenfälle gegeben, berichteten die Organisatoren. Nur als der Regen wieder stärker wurde und viele der Teilnehmenden ihre Kapuzen hochzogen, habe es übertriebene Reaktionen der Polizei wegen angeblicher Vermummung gegeben.
Ein Bündnis von linken Parteien, Organisationen und autonomen Gruppen organisiert seit 1996 jährlich die Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung. „Wir verbinden das Gedenken an die Ideen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit den Forderungen in den Kämpfen unserer Zeit“, heißt es dazu auf der Website: „Wir demonstrieren für Frieden und internationale Solidarität, gegen Ausbeutung, gegen den Abbau demokratischer Rechte und das Anwachsen faschistischer Gefahren.“ In der DDR war die jährliche Erinnerung an die ermordeten Kommunisten zu einem Ritual der Partei- und Staatsführung geworden.
© Sputnik / Tilo Gräser
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