Wann?
Wo?
Hier das komplette Gespräch.
Lieber Thomas,
mein Geständnis wird Dich nicht überraschen, dass ich den Beginn Deines Kommentars erst einmal wenig begeisternd fand. „Transparenz hin und Transparenz her“ – das klingt doch sehr nach: „Lirum, larum Löffelstiel, wer viel redet, sagt nicht viel.“ Wer Transparenz zum Thema macht, scheint bestenfalls ein Grünling zu sein, der nicht schnell genug an die Angel kommen kann.
Doch Dein Kommentar besteht ja nicht nur aus zwei Zeilen, sondern schließt eine nähere Betrachtung und eigene Überlegungen zu der zitierten Äußerung Lenins ein, und das ist sicher eine nützliche Verfahrensweise.
Zu Deiner Eingangsbemerkung über‘s richtige Zitieren freilich möchte ich „Jain“ sagen. Natürlich dürfen Zitate nicht völlig aus dem Zusammenhang gerissen werden. Gerade das ist ja eine der beliebtesten Manipulationsmethoden. Doch andererseits haben es manche Sentenzen an sich, dass sie weit über den ursprünglichen Inhalt hinaus Bedeutung erlangen, dass sie abwandelbar und übertragbar sind. Es existiert eben Allgemeines im Einzelnen und im Besonderen.
Die Worte: „Nach unseren Begriffen ist es die Bewußtheit der Massen, die den Staat stark macht“ – soviel als Reminiszenz – prangten einst auf einem sechs oder acht Meter breiten Spruchband an der Stirnseite des Vorlesungssaals im Institut für Philosophie der Humboldt Universität zu Berlin (Rainer Thiel kann sich bestimmt auch daran erinnern). Und die Fülle verschiedener Assoziationen während vieler, vieler Vorlesungs- Seminar- und Versammlungsstunden, die sich damals in Studentenköpfen einstellte, hatte sicher auch viel Erfreuliches.
Danke, dass Du den zeitgeschichtlichen Zusammenhang von Lenins Worten etwas ausgeführt hast. (Auch ich hatte den Hinweis auf den 8. November 1917 nicht zufällig in die Quellenangabe mit aufgenommen.) Irreführend wäre aber der Eindruck, Lenins Orientierung auf das allumfassende Wissen und die allumfassende Urteilsfähigkeit der Massen würde sich nur auf die Zeitspanne beziehen, in der die ersten Grundlagen des proletarischen Staates geschaffen wurden. Das ist ganz und gar nicht der Fall, wie sich zigfach belegen lässt.
Und auch Deine Formulierung, es gehe „um Offenheit des Staates gegenüber der Masse, nicht um die Offenlegung und Transparenz von Vereinen und Organisationen dem Staat gegenüber“ ist nur scheinbar schlüssig. Eine Allaussage ist nun mal eine Allaussage. Alle sollen alles Wissen, alles beurteilen können, alles bewusst tun (ich erwähne hier sicherheitshalber, dass es natürlich um die gesellschaftspolitische Ebene geht und nicht um zwischenmenschliche Intimität). Das bedingt tatsächlich die Offenheit der Massen gegenüber ihrem Staat, wie auch die des Staates gegenüber seinen BürgerInnen, wie auch der BürgerInnen und ihrer Organisationen gegenüber den BürgerInnen und ihren Organisationen. Anders ist es gar nicht möglich, Bewusstheit und Organisiertheit als Begriffe auf dieselbe Stufe zu stellen. (Lenin: „Der letzte Kraftquell ist die Masse der Arbeiter und Bauern, ihre Bewußtheit, ihre Organisiertheit.“ 19. Oktober 1921, Werke Band 33, Berlin 1977, S. 48)
Falls es notwendig ist „In diesem Zusammenhang zu klären was der Staat eigentlich ist,…“, braucht das wahrlich nicht zu einem Grundsatzstreit zwischen uns über den Klassencharakter des imperialistischen Staates zu führen. Meine Frage ist, ob dieses Klären in dem konkreten Bezug „Transparenz“ bzw. noch konkreter „ITZ“ notwendig ist? Das hat mir noch niemand überzeugend beantwortet. Sehr oft, wenn ich diese Fragen anschneide, springt mir so etwas wie eine betagte „Klassenwachsamkeit“ entgegen.
Wie vertragen sich mit dieser Wachsamkeit die braven Berichte ans Vereinsregister nach jeder Wahl? Wie vertragen sich damit die doch wahrhaft umfassenden Berichte ans Finanzamt alle drei Jahre beim Bemühen um die Bestätigung der Gemeinnützigkeit? Jahr um Jahr berichten wir gemeinnützigen eingetragenen Vereine dem Staat bis aufs „tz“.
Deine letzte Anmerkung kann ich leider überhaupt nicht teilen. Schon die Fragestellung ist recht unpräzise: „… welcher Sinn steckt hinter dem Anliegen das Vereine und andere Organisationen sich pauschal und ohne Notwendigkeit offenbaren?“ Transparenz im Sinne der „ITZ“ ist keineswegs pauschal, sondern recht präzise definiert. Transparenz und Offenbarung sind meiner Meinung nach verschiedene Dinge. Teilübereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen wie auch „der Sinn“, wären ernsthaft (konstruktiv) zu diskutieren. Vor allem aber bestreite ich , dass es keine Notwendigkeit gäbe.
Du behauptest: „Wenn Menschen an bestimmter Organisiertheit interessiert sind, so werden sie Wege und Möglichkeiten finden sich entsprechend zu informieren.“ Das scheint mir nicht weit entfernt vom „linken Hochmut“, um noch einmal an L. zu erinnern. War‘n sie wohl zu doof, dass sie die Wege und Möglichkeiten nicht gefunden haben oder erst nach tausend Umwegen gefunden haben? Hatten sie nicht ausreichend Charakterstärke oder Gedankenschärfe, dass ihr Interesse an Organisiertheit zu schwach oder zu unbestimmt war? Sind es denn nicht mehr als genug, die den Rattenfängern der „Open Society Foundations“ (die übrigens intransparent sind) hinterherlaufen?
Leider betrachten wir das unüberschaubar riesige Feld der zivilgesellschaftlichen Organisationen, der NRO, viel zu selten und nur punktuell mit den Augen der Klassenwachsamkeit. So tummeln sich die ehrenwertesten Vereinigungen und die berüchtigsten „Revolutionsadopter“ gleichermaßen ungestört im warmen Wasser der Empathie und des menschenfreundlichen Engagements und der demokratischen Basisarbeit. Transparenz könnte zur Klarsicht beitragen, um Friedfische und Haie unterscheiden zu lernen. Ganz abgesehen davon, welche Impulse zu einer höheren Kultur des Miteinanders die Weiterentwicklung demokratischer Transparenz innerhalb unserer eigenen Organisationen geben könnte.
Lieber Thomas, ich setze diese Antwort auf die Hauptseite unseres schmalen Webauftritts, weil sie als bloßer Kommentar ziemlich unbemerkt bliebe. Gerne räumen wir Dir die Möglichkeit ein, eine eventuelle Replik oder weitere Überlegungen von Dir als Gastbeitrag zu veröffentlichen.
Mit den besten Grüßen
Klaus-Peter
„Deshalb bleibe ich dabei, daß der XX. Parteitag der KPdSU und das ihm folgende »Tauwetter« eine Möglichkeit zur Erneuerung und zur Rückbesinnung auf Marx öffneten.
Aber – so wird heute deutlicher denn je – dieser erste Schritt »von oben« bekräftigte gleichzeitig die verheerende Fixierung auf die Illusion, daß die Veränderung »von oben« zu erfolgen habe. Deshalb – wie wir heute klar erkennen können, ist dies eine Schlüsselfrage – sind die völlige und befreiende Abkehr vom Stalinismus und eine wirkliche Reform des realen Sozialismus aus eigener Kraft nicht gelungen. Wir hatten uns, begünstigt, aber nicht verursacht von den erbarmungslosen Bedingungen der Systemauseinandersetzung, mit den verinnerlichten »ideologischen« Begründungen für den Zentralismus in der Partei und im Staat tief in einer Sackgasse verlaufen.“
(Quelle: WOLFGANG HARTMANN „Das Erbe Dzierzynskis« – oder weshalb seine Nachdenklichkeit abhanden kam. Persönliche Reflexionen und Fragen an Meinesgleichen“, in: Sonderheft 1997 – Rosa-Luxemburg-Stiftung, Seite 137. Hervorhebung „fett“ vom Zettelkasteninhaber)