Vorbemerkung:
Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde im Juli 2017 von einer Mehrheit der UNO-Mitgliedstaaten angenommen. 50 Staaten müssen ihn ratifizieren, damit er in Kraft treten kann. 51 Staaten haben ihn inzwischen ratifiziert und so konnte der Vertrag am 22. Januar 2021 in Kraft treten. Weitere Staaten, die selbst keine Atomwaffen haben, anstreben oder auf ihrem Territorium lagern, werden ihn noch ratifizieren. Keiner der Atomwaffenstaaten wird sich dem Vertrag anschließen.
Im Folgenden der Text eines Vortrages von Doris Pumphrey, gehalten bei den Berliner Freidenkern im März 2019. Obwohl inzwischen knapp 2 Jahre alt, ist die Ausarbeitung weiterhin aktuell, denn es geht darin vor allem um grundsätzliche Aspekte der Atomwaffen, die geschichtliche Entwicklung, die Rolle der Abschreckung und die politische Einschätzung des Atomwaffenverbots in den heutigen und absehbaren internationalen Beziehungen und als Kampagne in der Friedensbewegung.
Atomwaffenverbot: Weg oder Ziel? Politische Deeskalation ist der dringendste nächste Schritt
Von Doris Pumphrey, März 2019
Das Verbot von Atomwaffen klingt sympathisch und verlockend. Wer würde dem gefühlsmäßig nicht zustimmen? Doch kann es unter den gegenwärtigen und absehbaren internationalen Realitäten tatsächlich weiterführen, um die Welt sicherer zu machen?
Der Atomwaffenverbotsvertrag soll hier nicht im Einzelnen besprochen werden. Hinzuweisen wäre, dass sich der Verbotsvertrag nicht gegen bestehende Verträge zu Atomwaffen richten soll und dass Unterzeichnerstaaten aus dem Vertrag auch wieder austeigen können.
Zur Unterzeichnung des Vertrages organisiert die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) eine internationale Kampagne – auch in Deutschland.
ICAN Deutschland (1) nennt verschiedene Gründe für das Verbot von Kernwaffen:
Humanitäre und ökologische:Seit Hiroshima und Nagasaki weiß die Menschheit, dass nukleare Waffen grausame Massenvernichtungsmittel sind und die Umwelt zerstören. Darüber kann es keinen Dissens geben.
Wirtschaftliche:Unbestreitbar ist, dass Atomwaffen, vor allem die Trägersysteme, wie die konventionelle Rüstung viel Geld kosten, die für andere Bereiche benötigt werden.
Sicherheitsgründe: Laut ICAN seien Atomwaffen „in keiner Weise hilfreich gegen aktuelle reale Bedrohungen unserer Sicherheit, etwa Terrorismus, Klimawandel, extreme Armut, Überbevölkerung, Ressourcenknappheit und Krankheiten.“ Das würde vermutlich auch niemand behaupten wollen.
ICAN meint ziemlich sicher voraussagen zu können, dass, solange Atomwaffen existieren, sie auch wieder eingesetzt werden, „entweder absichtlich oder unabsichtlich“ und schreibt: „Auch die Militärdoktrin der Atomwaffenstaaten sehen allesamt sehr realistische Einsatzszenarien vor.“
Dazu sei angemerkt: Es gehört nun mal zur ureigensten Aufgabe von Streitkräften realistische Einsatzszenarien, auch atomare, auszuarbeiten, um auf jeden denkbaren Fall vorbereitet zu sein. Aber zwischen Planung und Ausführung steht die politische Verantwortung und Entscheidung.
ICAN verweist zu Recht auf die Gefahr von Unfällen oder Fehleinschätzungen. Neben dokumentierten Einzelfällen, spricht ICAN allerdings auch von „vielen unbekannten Einzelfällen“, in denen Atomwaffen „fast aus Versehen“ eingesetzt wurden. Unbekanntes lässt sich weder quantifizieren noch verifizieren. Gerade wenn es um so gravierende Risiken geht, sollte man sich vor Mutmaßungen und Übertreibungen hüten.
ICAN schreibt, Atomwaffen seien keineswegs ein „Garant für Frieden“. Das „Narrativ“ die atomare Abschreckung hätte während des Kalten Krieges den Frieden bewahrt, sei „weder rational begreifbar noch empirisch belegbar“.
Atomwaffen per se garantieren natürlich keinen Frieden. Nun hat aber die Geschichte keinen Rückwärtsgang. So schuf die Existenz der Atomwaffen die Notwendigkeit des strategischen Gleichgewichts und der gegenseitigen nuklearen Abschreckung. Dass die atomare Abschreckung verhindert hat, dass aus dem kalten ein heißer Krieg wurde, kann vielleicht etwas begreifbarer werden, wenn man sich diese Geschichte ein wenig näher ansieht.
Geschichte der Atomwaffen
Kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges gelang Forschern in Deutschland die erste Spaltung eines Atomkerns. Wissenschaftler, die aus Deutschland geflohen waren, befürchteten, dass die Nazis die Forschungen fortsetzen, um sie militärisch zu nutzen. Sie baten Albert Einstein, US Präsident Franklin D. Roosevelt vor dieser Gefahr zu warnen und ihn anzuregen selbst Vorkehrungen zu treffen. Seinen Brief vom 2. August 1939 bereute Einstein später. “Hätte ich gewusst, dass es die Deutschen nicht schaffen würden, eine Atombombe herzustellen, ich hätte keinen Finger gerührt”, erklärte Einstein als die Auswirkungen des Atombombenabwurfs auf Japan bekannt wurden.
Einsteins Brief hatte wahrscheinlich dazu beigetragen, dass in den USA das sogenannte Manhattan-Projekt entstand, in dem ab 1942 an der Entwicklung der Atombombe gearbeitet wurde.
Als der erste Atombombentest näher rückte, versuchten einige der am Manhattan-Projekt beteiligen Wissenschaftler, darunter auch Leó Szildárd, Präsident Harry S. Truman vor dem Einsatz zu warnen. Truman verwies sie an seinen damaligen Berater James F. Byrnes, dem späteren US-Außenminister. Über das Treffen am 28. Mai 1945 schrieb Leó Szildárd später: „Byrnes war damals sehr besorgt über den steigenden Einfluss Russlands in Europa und war der Ansicht, dass unser Besitz und die Demonstration der Atombombe den Umgang mit Russland in Europa erleichtern würden.“
Bezeichnend ist auch, dass für Brigade General Leslie Groves, der im September 1942 die militärische Leitung des Manhattan-Projekts übernahm, Russland von Anfang an der Feind war: „Etwa zwei Wochen nachdem ich die Leitung des Projekts übernommen hatte, zweifelte ich keinen Moment mehr daran, dass Russland unser Feind war und das Projekt auf dieser Grundlage durchgeführt wurde.“ (2) Das erklärte er während der Schlacht um Stalingrad.
Um den ersten Atombombentest abzuwarten, ließ Präsident Truman den Beginn der Potsdamer Konferenz um zwei Wochen verschieben, in der Hoffnung Josef W. Stalin zu überraschen und durch diese Machtdemonstration einzuschüchtern. Der Test am 16. Juli 1945 war erfolgreich, am 17. begann die Potsdamer Konferenz. Überrascht war nicht Stalin, sondern Truman, denn Stalin blieb von der Nachricht unbeeindruckt.
Die sowjetische Regierung war schon lange über das Manhattan-Projekt informiert. Antifaschisten bzw. Kommunisten – wie Klaus Fuchs, Theodore Hall and David Greenglass, wissenschaftliche Mitarbeiter im US-Manhattan-Projekt – hatten die technischen Informationen der Sowjetunion zukommen lassen.
So wie Albert Einstein und Leó Szildárd wollten, dass die USA den Nazis mit der Atombombe zuvorkommen, so wollten die Antifaschisten verhindern, dass ein Atomwaffenmonopol der USA diese zu einem Angriff gegen die Sowjetunion verleiten könnten.
Die US-Propaganda, erst der US-Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 hätte Japan zur Kapitulation gezwungen, diente der Rechtfertigung für das damit angerichtete Grauen, vor allem auch gegenüber der US-Bevölkerung. Japan stand bereits kurz vor der Kapitulation. Der Einsatz der Atombomben sei „vom militärischen Standpunkt aus betrachtet absolut überflüssig“ gewesen, meinte u.a. selbst der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte im Pazifik, US-General McArthur.“ (3)
Mit diesem Abwurf konnten seine Planer nun auch die Konsequenzen für Mensch und Umwelt testen. Vor allem aber sollte der Sowjetunion die US-Überlegenheit demonstriert werden. Wie hatte doch der Leiter des US-Atomwaffenprogramms Brigade General Leslie Groves schon 1942 gesagt: „Russland ist der Feind.“
Abschreckung im Kalten Krieg
Mit dem Erfolg des ersten sowjetischen Atomwaffentests Ende August 1949 war das US-Atomwaffenmonopol gebrochen. Andere Staaten haben inzwischen Atomwaffen angeschafft. Bis heute sind die USA die einzige Atommacht, die ihre Atomwaffen auch eingesetzt hat.
Seit 1949 spielen Atomwaffen und die Nuklearstrategie in den Auseinandersetzungen zwischen USA/NATO und Sowjetunion/Russland eine zentrale Rolle.
Der Start des ersten Sputnik 1957 zeigte, dass nunmehr auch sowjetische Interkontinentalraketen das US-Territorium erreichen könnten.
Den strategischen Vorteil der USA mit ihren Mittelstreckenraketen in der Türkei und Italien wollte die UdSSR 1962 mit der Stationierung von Mittelstreckenraketen auf Kuba kompensieren. Die Kuba-Krise endete mit einer Vereinbarung. Die sowjetischen Raketen wurden aus Kuba und die US-Raketen aus der Türkei und Italien abgezogen.
Das durch die nukleare Hochrüstung entstandene „Gleichgewicht des Schreckens“ – die Mutually Assured Destruction – also diegegenseitig zugesicherte Zerstörung – beruht auf der Annahme, dass keine Seite so verrückt sein kann, mit dem Einsatz von Atomwaffen auch die eigene nukleare Vernichtung in Kauf zu nehmen.
Heiße Zeit im Kalten Krieg
Die Entwicklung von atomaren US-Erstschlagwaffen zur „Enthauptung“ des Gegners, die darauf zielen einen atomaren Zweitschlag zu verhindern, führten Anfang der 1980iger Jahre zu einer neuen Eskalation. Man kann wohl sagen, dass die frühen 80iger Jahre die heißeste Zeit des Kalten Krieges waren.
1979 hatte die NATO den berühmten Doppelbeschluss zur Stationierung der Pershing II und Cruise Missiles verabschiedet, nukleare Erstschlagwaffen, die vor allem in der Bundesrepublik stationiert werden sollten.
Reagan hatte Abrüstungsverhandlungen für tot und eine Koexistenz mit dem „Reich des Bösen“ für ausgeschlossen erklärt. 1983 spitzten sich die Spannungen zu. US-Neocons in der Reagan-Administration propagierten den nuklearen Enthauptungsschlag der Sowjetunion und erstellten Pläne für einen „begrenzten Atomkrieg“ in Europa, der für die USA „führbar und gewinnbar“ sein sollte.
Als Anfang November auch noch das traditionelle NATO-Manöver ABLE ARCHER mit einer Simulation verbunden wurde, die auf Moskau wie die Vorbereitung eines nuklearen Erstschlags wirkte, spannten sich die Nerven in Moskau. Nach den bitteren Erfahrungen des Überfalls Nazideutschlands, wollte die sowjetische Staatsführung das Land nie mehr einem Überraschungsangriff ausliefern und schaltete auf Gefechtsbereitschaft.
Mit den Informationen des DDR-Aufklärers Rainer Rupp, der in den höchsten Gremien der NATO arbeitete und Einblick in alle wichtigen Vorgänge hatte, konnte die sowjetische Führung überzeugt werden, dass die NATO keinen nuklearen Erstschlag plante und somit die Situation entspannen.
Über die Gefahr des nuklearen Ersteinsatzes sagt Rainer Rupp, dass selbst in höchsten NATO-Stabsmanövern ein Ersteinsatz von Nuklearraketen immer nur nach Beginn von regulären Kriegshandlungen vorgesehen war, im Rahmen der Eskalationshoheit, die sich die NATO vorbehielt. Ein nuklearer Angriffskrieg zur Enthauptung der Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren des Gegners – ohne dass von ihm eine akute Gefahr ausging – sei zwar Anfang der 1980er Jahre von den Neocons in der Reagan-Administration propagiert worden, aber alle Versuche, den europäischen NATO-Verbündeten einen „begrenzten, durchführbaren und gewinnbaren“ Nuklearkrieg gegen die Sowjetunion als neue NATO-Strategie zu verkaufen, seien gescheitert.
Die sowjetische Militärstrategie zu jener Zeit schloss den Ersteinsatz von Atomwaffen auch nach begonnen Kampfhandlungen aus. Wahrscheinlich, so Rainer Rupp, sei sich Moskau damals sicher gewesen, dass die NATO nie bis zur russischen Grenze kommen würde. Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen wäre für die Sowjetführung nur eine Option, wenn die Lage eindeutig identifiziert wurde und mit einem unmittelbar bevorstehenden nuklearen NATO-Angriff gerechnet werden musste, dem man innerhalb weniger Minuten zuvorkommen wollte. Dies sei die Situation im Herbst 1983 gewesen. Deshalb standen nuklear bestückte sowjetische Bomber mit laufenden Motoren auch auf dem DDR-Territorium startbereit.
Laut Rainer Rupp, sei auch die NATO nie von einem atomaren Erstschlag seitens der Sowjetunion ausgegangen – mit Ausnahme zur Verhinderung des Starts von atomaren US-Erstschlagswaffen in Europa.
Die heiße Zeit der 80iger endetet schließlich in der Entspannung. 1987 unterschrieben US-Präsident Reagan und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow den INF-Vertrag zur Stabilisierung des nuklearen Gleichgewichts in Europa.
Abschreckung heute
Damit endeten jedoch nicht die Bestrebungen der USA nach nuklearer Dominanz. Zwei Experten der Nuklearkriegsführung an der US-Luftwaffenuniversität untersuchten die Entwicklung der US-Atomkriegsstrategie unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama und stellten im Jahr 2013 fest, dass unter seiner Ägide das US-Militär von Anfang an das Ziel der strategischen Vorherrschaft verfolgt habe. (4) Unter dem Deckmantel des Raketenabwehrsystems in Osteuropa wurden unter Präsident Obama Erstschlagkapazitäten geschaffen – bestückbar mit den atomaren Tomahawk Cruise Missiles – ohne dass europäische NATO-Mitglieder gegen diese Verletzung des INF-Vertrages protestiert hätten.
Bei Kündigung des INF-Vertrags – wie von Präsident Trump angekündigt – und der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen nahe der russischen Grenze, kämen wir heute in eine noch weitaus gefährlichere Situation als 1983, als die Vorwarnzeit für Moskau auf 5 Minuten reduziert war und schon damals für die Sowjetführung die Notwendigkeit bestand, im Spannungsfall bereits auf Verdacht ihren Gegenschlag zu starten, um ihrer „Enthauptung“, d.h. der Vernichtung ihrer Zweitschlagkapazität zuvorzukommen.
Bei noch geringeren Vorwarnzeiten, z.B. bei einer Stationierung der US-Raketen in der Ukraine, Rumänien, Polen und den drei rabiat anti-russischen Kleinstaaten Estland, Lettland und Litauen, würde natürlich die Gefahr einer Fehleinschätzung und somit eines Atomkriegs um ein Vielfaches wachsen, denn dann bliebe in Moskau erst recht keine Zeit mehr, um Fehlmeldungen zu überprüfen. Dieses neue Drohpotential müsste Russland wiederum mit einer weiteren atomaren Nachrüstung beantworten, um die Zweitschlagkapazität und damit eine wirksame gegenseitige Abschreckung zu erhalten.
Für Russland bleibt die Kriegsverhinderung und damit die atomare Abschreckung der wichtigste Faktor seiner nationalen Sicherheitsstrategie. Das russische Atomwaffenpotential soll andere Mächte vom Einsatz ihrer Atomwaffen abhalten und militärische Angriffe gegen sein Territorium mit einem hohen Preis für den Aggressor abschrecken.
Die heutige russische Militärdoktrin sieht den Einsatz von Atomwaffen nur dann vor, wenn die Russische Föderation mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen angegriffen werden, oder wenn ein militärischer Überfall mit konventionellen Waffen, der die Existenz des russischen Staates bedroht, nicht mehr mit konventionellen Waffen abgewehrt werden kann.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gingen die USA/NATO davon aus, dass sie Russland wirtschaftlich und militärisch in die Knie zwingen würden. Zudem traten die USA 2002 einseitig aus dem ABM-Vertrag aus, dem Eckstein des internationalen Sicherheitssystems.
In seiner Rede am 1. März 2018 (5) sagte Präsident Vladimir Putin, der Westen habe offensichtlich vorgehabt, „einen möglichst großen militärischen Vorsprung zu erringen, um Russland in allen künftigen Verhandlungen die Bedingungen diktieren zu können.“
In ihrer grenzenlosen Arroganz hatten die Herren und Damen des NATO-Kriegsbündnisses die Hand ausgeschlagen, die Putin ihnen immer wieder gereicht hatte. Und so kündete Putin russische Maßnahmen an, um die strategische Parität wiederherzustellen. Gleichzeitig wiederholte er sein Angebot endlich zu verhandeln, um „gemeinsam ein neues, wirklich funktionierendes, internationales Sicherheitssystem zu erarbeiten und über eine nachhaltige Entwicklung der menschlichen Zivilisation nachzudenken.“ Und er betonte, Russland sei jederzeit zu Verhandlungen bereit.
Dass der „Westen“ sich von Putins Rede schockiert zeigte, von Aggressivität und Provokation sprach – wer könnte es anders erwarten. Allerdings reihten sich auch die Friedensorganisationen ICAN/IPPNW in einer Pressemitteilung (6) in den Chor des Mainstreams ein. „Putin droht mit neuen ‚unschlagbaren‘ Atomwaffen“, heißt es dort, „Jetzt steigt auch Putin in den Potenzstreit mit Donald Trump und Kim Jung-un ein“ und „Putin protzt mit seinen neuen nuklearen Fähigkeiten.“
Hatten ICAN/IPPNW die Entwicklung seit den 1990iger Jahren verschlafen? Hatten sie die Rede Putins nicht gelesen? Warum ignorierten sie das russische Angebot zu verhandeln?
Atomare Abschreckung als politisches Instrument
Ob uns das gefällt oder nicht: Atomare Abschreckung ist auch ein politisches Instrument. Das zeigt gerade das Beispiel Nordkorea. Nachdem Nordkorea 2002 von den USA auf die Liste der „Achse des Bösen“ aufgenommen wurde, entschied es sich für die Wiederaufnahme seines Atomwaffenprogramms. Man darf wohl davon ausgehen, dass Nordkorea keine Selbstmordabsichten hegt und einen atomaren Angriffskrieg plant.
Wie der Asienexperte Rainer Werning es formulierte: „Nach einem fünfzehnjährigen westlichen ‚Krieg gegen den Terror‘ mit reihenweise verwüsteten Staaten im Nahen und Mittleren Osten folgt Nordkoreas Nomenklatura einer sehr rationalen Logik: Wenn wir schon international nicht als Freund geachtet sind, wollen wir wenigstens auf Augenhöhe als Feind geächtet werden.“ (7) Auf Augenhöhe mit den USA verhandeln, ist der gegenwärtige Versuch der Regierung in Pjöngjang, um endlich zu einem Friedensvertrag zu kommen.
Das bedeutet natürlich nicht, die Friedensbewegung müsste nun eine atomare Bewaffnung aller Staaten begrüßen, die sich dem USA/NATO-Diktat nicht beugen wollen. Für eine Friedensbewegung ist das politische Instrument die Charta der Vereinten Nationen, d.h. die Achtung der Souveränität und Gleichheit aller Nationen und die klare Positionierung gegen jedes Diktat der Stärkeren.
Kann das Verbot von Atomwaffen weiterführen?
Beide atomaren Großmächte wissen, dass es in einem Atomkrieg keinen Sieger geben kann. Und da die Eskalationsspirale hin zu einem Atomwaffeneinsatz nicht kontrollierbar ist, ist die gegenseitige nukleare Abschreckung auch eine Abschreckung gegen einen konventionellen Angriff.
Zum Atomwaffenverbotsvertrag erklärte Sergej Lawrow (8), „die Befürworter des Vertrags, einschließlich der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen (ICAN), die mit dem Friedensnobelpreis für 2017 ausgezeichnet wurde, scheinen von einem hehren Ziel geleitet zu sein, Atomwaffen so schnell wie möglich zu verbieten.“ Auch Russland trete ein für eine atomwaffenfreie Welt. Dennoch könne es den Vertrag nicht unterschreiben, da „eine vollständige Denuklearisierung nur im Rahmen der allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter Bedingungen gleicher und unteilbarer Sicherheit für alle Staaten, einschließlich der Nuklearstaaten, möglich ist, wie dies der Atomwaffensperrvertrag festgelegt.“
Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen hingegen „entspricht nicht diesen Grundsätzen und ignoriere die Notwendigkeit alle Faktoren zu berücksichtigen, die die strategische Stabilität beeinflussen können, und kann sich daher destabilisierend auf das Nichtverbreitungsregime auswirken. Im Ergebnis könnte die Welt noch instabiler und unberechenbarer werden.“
Inzwischen haben die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland, Großbritannien, China, die USA und Frankreich eine gemeinsame Erklärung im gleichen Sinn verbschiedet, in der es heißt, der Atomwaffenverbotsvertrag „wird nicht zur Vernichtung auch nur einer einzigen Waffeneinheit führen. Er entspricht nicht den höchsten Standards der Nichtweiterverbreitung. Er provoziert Diskrepanzen im Rahmen der internationalen Instrumente zur Nichtverbreitung und Abrüstung, was den weiteren Prozess im Abrüstungsbereich noch mehr erschweren kann“. Und sie betonen, „dass die beste Methode zum Erzielen einer Welt ohne Atomwaffen ein etappenweiser Prozess ist, der die Situation im Bereich der internationalen Sicherheit berücksichtigt.“ (9)
Kein Atomwaffenstaat wird in absehbarer Zeit den Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben.
ICAN geht davon aus, dass der Vertrag trotzdem wirke, denn er nehme den Atomwaffen „die Legitimität und diskreditiere den Besitz“. Auch das würde nicht weiterführen, denn Atomwaffen werden ja nicht moralisch gerechtfertigt, sondern strategisch begründet.
Zwei weitere Probleme seien hier nur angedeutet:
Auch wenn die Besitzerstaaten dem Verbotsvertrag beitreten würden, es gibt keine totale Verifizierung der Vernichtung ihrer Atomwaffen. Die internationalen Interessenkonflikte und Widersprüche lassen kein vollständiges gegenseitiges Vertrauen zu.
Ein Staat, der nicht alle Atomwaffen abbaut, könnte alle anderen erpressen. Die Expertise und Technologie existieren weiterhin und ermöglichen auch eine neuerliche atomare Rüstung, nicht nur heimlich. Jeder Staat kann entsprechend begründet aus dem Atomwaffenverbotsvertrag nach einer 12-monatigen Ankündigungsfrist aussteigen. Ein neuer nuklearer Rüstungswettlauf ist damit vorprogrammiert.
Eine atomare Abrüstung bis auf null, würde zudem die konventionelle Rüstung derart anheizen, dass die internationale Situation noch instabiler werden könnte und wegen der viel höheren Kosten Länder wirtschaftlich ruinieren.
Nach der Ankündigung Trumps aus dem INF-Vertrag auszusteigen, forderte ICAN zwar auch die Rückkehr zur Abrüstung, erklärte aber zugleich, „der internationale Verbotsvertrag ist der Weg nach vorne.“
Der Verbotsvertrag kann von der Sache her nur ein Ziel sein und nicht der Weg. Mit diesem Verbot wird keine einzige Atomwaffe verschwinden. Der Vertrag kann nicht mehr sein als ein moralisches Bekenntnis ohne praktische Konsequenzen.
Wenn eine Kampagne zu einem so schwierigen Thema wie Atomwaffen die Realitäten negiert, um das Ziel zum Weg zu erklären, besteht dann nicht die Gefahr, dass sie bei vielen Engagierten Illusionen und falsche Hoffnungen erzeugt?
Und schließlich: Wie sinnvoll ist ein internationaler Vertrag zum Verbot von Atomwaffen, von dem man von vorneherein wissen muss, dass ihm unter den heutigen und absehbaren internationalen politischen Realitäten nur Staaten beitreten, die keine Atomwaffen haben, keine atomare Bewaffnung planen und von denen keine Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung ausgeht?
Was können wir hierzulande tun?
ICAN und große Teile der Friedensbewegung fordern die Bundesregierung auf, den Verbotsvertrag zu unterschreiben. Laut Vertrag, sollen Länder, auf deren Territorien fremde Kernwaffen lagern, „dafür Sorge tragen“, dass diese nach Vertragsunterschrift „sobald wie möglich entfernt werden spätestens aber zu einem vom ersten Treffen der Vertragsstaaten festzulegenden Termin“. (10) Allerlei Vertragsbestimmungen sollen die Umsetzung regeln.
Die Bundesregierung könnte mit einer Unterschrift zwar ihre selbstgefällige moralische Pose einnehmen – auf die Bedrohung des „bösen Russlands“ zeigend, das sich dem Vertrag nicht anschließen wird – nur kommt sie sowieso nicht umhin, selbst „dafür Sorge zu tragen“, dass die US-Atomwaffen auch wirklich abgezogen bzw. nicht durch modernisierte ersetzt werden. Sie könnte sich also durchaus hinter dem breiten Rücken der USA verstecken, falls diese Schwierigkeiten machen.
Aber warum überhaupt diesen Umweg über den Verbotsvertrag gehen? Die Bundesregierung kann jederzeit aus der nuklearen Teilhabe aussteigen. Es gab diesbezüglich immer wieder Ankündigungen und 2009 hatte sie es sogar schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben.
Das Problem ist doch wohl, dass ihr der Wille fehlt, sich mit den USA diesbezüglich anzulegen. Schließlich braucht die BRD die Rückversicherung und militärische Rückendeckung von USA und NATO, um ihre imperialistischen Interessen durchzusetzen. Hier fängt die politische Aufklärung an, die zur Erkenntnis führen kann: Raus aus der NATO und NATO raus aus unserem Land.
Vor allem anderen aber, muss die Friedensbewegung endlich in die politische Offensive kommen. Mit moralischen Appellen und abstrakten Forderungen, die an der Realität nichts ändern können, wird das nicht gelingen.
Eine Kernfrage der deutschen Regierungspolitik ist die Beziehung zu Russland. Hierzu muss die Friedensbewegung auch selbst eine eindeutige Position beziehen. Russland bedroht uns nicht. Russland hat keinerlei Interesse an einem Krieg mit der NATO. Die deutsche Friedensbewegung steht in der Pflicht sich der Geschichte zu erinnern, und Anmaßungen, Hetze und politische Eskalation gegen Russland klar zurückzuweisen. Sie muss von der Bundesregierung eine aktive und konkrete Politik der Deeskalation fordern, die sich dafür einsetzt, dass NATO/USA das von Präsident Putin wiederholte Angebot zu Verhandlungen auf allen Ebenen aufgreifen.
Solange die internationalen Beziehungen von erheblichen Interessenkonflikten, Gegensätzen und Auseinandersetzungen geprägt sind, wird es keine atomwaffenfreie Welt geben. Ein moralisches Bekenntnis zum Atomwaffenverbot kann keinen Schritt weiterführen, sondern nur Verhandlungen zu gegenseitiger Begrenzung, Kontrolle und Abrüstung. Atomare Abrüstung kann nur die Folge sein aus einem Prozess politischer Entspannung.
Am 15. Januar 2021 fand im Berliner Tiergarten der auch unter den gegenwärtigen Einschränkungen sehr gut besuchte Gedenkspaziergang für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht statt, den die Berliner Friko seit den 1980er Jahren alljährlich organisiert. Nach einer Lesung am Landwehrkanal (Gedenkstelle für Rosa Luxemburg) von Susanne Misere und Peter Bäß begab sich der Demonstrationszug weiter zur Stele für Karl Liebknecht. Dort hielt – nach der Eröffnung durch Elisabeth Wissel – Klaus Linder, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin des Deutschen Freidenker-Verbandes die Abschlussrede der Kundgebung.
Im Folgenden dokumentieren wir die Abschlussrede von Klaus Linder.
Bleibt unbeirrbar!
Rede von Klaus Linder
Liebe Versammelte,
als ich die Einladung erhielt, hier zu reden, nahm ich Bücher mit den Reden Luxemburgs und Liebknechts. Dort steht viel mehr auf die heutige Lage Zutreffendes, als in meine Rede passt. Ein Zitat von jedem werde ich bringen.
Corona, umständehalber
Ich möchte aber an den Anfang eines von Johann Wolfgang von Goethe stellen. Es lautet:
„Vor allem aber sollte der Analytiker untersuchen oder vielmehr sein Augenmerk dahin richten, ob er denn wirklich mit einer geheimnisvollen Synthese zu tun habe, oder ob das, womit er sich beschäftigt, nur eine Aggregation sei, ein Nebeneinander, ein Miteinander, oder wie das alles modifiziert werden könnte.“
Unsere Kundgebung ist Teil dessen, was am 10. Januar mit LL-Demo und Stillem Gedenken begann. Es war eine entkernte Demonstration, die sich der Provokationen und Spaltungen von innen und außen erwehren musste.
Für sie gilt, was für uns heute gilt: Seit dem schwersten jüngsten Angriff gegen die parlamentarische bürgerliche Demokratie, dem „3. Infektionsschutzgesetz“, ist darauf zu bestehen, dass unsere Kundgebungen überhaupt stattfinden!
Auf der eingeschränkten LL-Demo gab es eine Polizeiprovokation von außen, die der Rechtsgrundlage entbehrte. Dass Teile der Berliner Linkspartei zuvor aufforderten, genehmigtes Stilles Gedenken in den März zu verschieben, ist Spaltung von innen.
Danke an alle, die sich am 10. Januar nicht beirren ließen! Versammlungsfreiheit wahrzunehmen, ist unter dem volksfeindlichen Gesetz ein Teilsieg.
Hier ein Beispiel, warum das so wichtig ist: Unter dem Schleier von Gesundheitsschutz wird Privatisierung und Schließung von Kliniken weitergetrieben. Proteste dagegen wären das Naheliegendste. Sie werden verboten aufgrund des Artikels 28 des Infektionsschutzgesetzes. Als sei der eigentliche Schlag gegen den Gesundheitsschutz nicht die Privatisierung einer Klinik, sondern die verantwortungsvolle Protestversammlung für ihren Erhalt!
Corona als Privatisierungstreiber im Pflegenotstand – das ist deutsche Realität; aber nicht chinesische Realität, nicht vietnamesische, kubanische oder venezolanische.
Wir müssen nicht, um eine Gegenposition zu artikulieren, die objektive Realität von „Corona“ grundsätzlich in Abrede stellen, als sei mit einer bloßen Bewusstseinsänderung die Sache aus der Welt. Es reicht, die Einschätzung der Gewerkschaft ver.di anzuführen, dass in jenem Art. 28 mit den dort fixierten Inzidenzzahlen positiver Fälle dem Würfelspiel willkürlicher Verbotsmaßnahmen alle Türen geöffnet werden. Und so wird das benutzt.
Es ist also doppelt gut, dass wir heute hier stehen. Es ist auch gut, dass wir hier nicht deshalb stehen, weil wir an Glaubenskämpfen teilnähmen wie der Spalterfrage, ob ein Mensch ohne Maske mehr Willensfreiheit respektive Einsicht besäße als ein Mensch mit Maske, sondern weil wir eine dritte, gemeinsame, große Sache vor Augen haben.
„Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ (Karl Liebknecht)
Ich komme zum ersten meiner Zitate. Es ist von Karl Liebknecht und lautet: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“.
In der Bundesrepublik, dem Herzen der Reaktion in Europa, gibt es kaum Schwerpunktsetzungen, die nicht zu Grabenkämpfen alsbald verkämen. So auch diese Aussage.
Als Liebknecht die Losung als Flugblatt herausbrachte, ging es um die Grundsituation, dass im I. Weltkrieg sich zwei annähernd gleichstarke imperialistische Blöcke gegenüberstanden. Und Deutschland eröffnete mit dem Krieg gegen Russland, den ein Bismarck noch abzuwenden suchte, jene Ostlandreiterei, die sich über den deutschen Faschismus und dann offen wieder nach der Liquidierung der DDR als eine Grundlinie des deutschen Imperialismus hält.
In jener Weltkriegssituation fast gleich starker Imperialismen sagte Liebknechts Losung das Richtige, um dem aufholenden, junkerlich-bourgeoisen wilhelminischen Militarismus in den Arm zu fallen.
Seit der deutschen bedingungslosen Kapitulation 1945 sieht die Sache anders aus. Von gleichem Kräfteverhältnis kann die Rede nicht sein, nicht in den transatlantischen Beziehungen. Die USA stiegen auf zum Hegemon der imperialistischen Welt, und eine kurze Zeit nach 1990 glaubten ihre reaktionärsten Kreise, sie könnten nun dauerhaft sich zur alleinigen Vorherrschaft global aufschwingen.
Aber die Kralle greift immer weniger fest, sie hatten die Rechnung ohne die Kräfte des historischen Fortschritts gemacht. Welche Rolle aber die alte Besatzungsmacht in Deutschland weiterhin spielt, ist uns allen klar, wenn wir am Fliegerhorst Büchel gegen US-amerikanische Atombomben mitsamt deutscher Teilhabe demonstrieren; oder wenn Bürger insbesondere auf dem Territorium der DDR die Losung „Kein Aufmarschgebiet gegen Russland“ an Autobahnbrücken montieren. Selbstverständlich gilt hier „Ami go home“ in guter Ernst-Busch-Tradition.
Als aber nach dem Ukraineputsch, der verschärften Einkreisung Russlands, die Losung „Raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland“ unter Friedensbewegten Fuß zu fassen begann, wurde dagegen, außer mit dem Wort „Antiamerikanismus“, mit dem Einwand gekontert: „Falsche Zielsetzung! Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“.
Das klang sehr links, war aber eine objektiv falsche, schematische Anwendung des Satzes. Gewiss ist eine Unterordnung der deutschen Bourgeoisie unter US-Interessen nur im Eigeninteresse ihrer Fraktionen möglich, weil für sie zum Beispiel die Mitgliedschaft in der NATO ein Hebel bleibt, um den eigenen Expansionszielen näher zu kommen und noch dazu deutsche Handelswege freizuräumen. Der andere Hebel sind Eurozone und EU. Deutsche Bourgeoisie und US-Imperialismus trennen!, die NATO loswerden! – das ist durchaus Kampf gegen den Hautfeind im eigenen Land. Der Satz von Liebknecht ist also ein dialektischer Satz; er zielt auf Einheit und Kampf der Gegensätze.
Es gibt nun eine entgegengesetzt falsche Sicht auf diesen Satz, auf die ich gleich komme. Zuvor möchte ich aber, da das Wort Dialektik fiel, ein Zitat von Friedrich Engels bringen – und zwar deshalb, weil Rosa Luxemburg in den Auseinandersetzungen mit den Flügeln ihrer Partei sich oft veranlasst sah, es anzuführen.
„Der Chinakrieg – Eröffnung der weltpolitischen Ära“ (Rosa Luxemburg)
In seiner Polemik gegen einen Oberschwurbler des späten XIX. Jahrhunderts, im Anti-Dühring, schrieb Engels:
„Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedankenbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem andern und ohne das andre zu betrachtende, feste, starre, ein für allemal gegebne Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen: seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: ein Ding kann ebensowenig es selbst und ein anderes sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehen in ebenso starrem Gegensatz zueinander.“
Bezogen auf unseren Hauptfeindsatz gibt es nun eine ebenso undialektische Gegenposition zur vorgenannten. Ich nenne sie „die Vasallentheorie“ – also die Annahme quasi totaler Unterordnung deutscher Souveränität, egal welcher Klassen, unter die Allmacht der USA. Auch sie greift gerne bis zum I. Weltkrieg zurück.
Es steht außer Frage, dass es ein altes anglo-amerikanisches Interesse gab und gibt, Deutschland gegen Russland in Stellung zu bringen. Dass das auch für die „angelsächsische“ Förderung des deutschen Faschismus als Speerspitze des Weltimperialismus galt, sei ebenfalls unbestritten, deutlich auch etwa beim „Münchner Abkommen“.
Dadurch werden aber die katastrophischen Weltbeherrschungspläne der deutschen Finanzbourgeoisie nicht zu einem geradlinig durchgezogenen angloamerikanischen „Projekt“. Schon deshalb nicht, weil die gar nichts mehr „durchziehen“ konnten gegen die ruhmreiche Sowjetunion, welche USA und Großbritannien in die Antihitlerkoalition zwang.
Heute sind die nichtimperialistischen Gegenkräfte im weltpolitischen Hauptwiderspruch ebenfalls auszumachen: Es ist die wachsende Kooperation zwischen Russland und China, die den unterdrückten Völkern und Klassen, sei es auch noch so gering erscheinende, Spielräume schafft.
Aber auch die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen deutschen und US-amerikanischen Monopolkapitalisten können keineswegs als schiere Unterordnung unter „das Imperium“ beschrieben werden, zumal die BRD über die neokolonialen Unterwerfungsinstrumente der EU verfügt. Die Theorie des eingleisigen Vasallentums gegenüber den noch-hegemonialen USA ist im Extrem eine von den materiellen Grundlagen abgelöste Allmachtsvorstellung.
Wir haben nun in den letzten Monaten erlebt, dass diese „Theorie“ seit Corona eine Wandlung ins Irrationale durchmachen konnte. Ihr alle kennt die Tiraden, dass „seit Wuhan“ quasi im vorausgeplanten Handstreich eine „Weltregierung“ bestellt worden sei, die nahezu 200 Staaten, deren nationale Corona-Strategien übrigens ungleichzeitig und ungleichförmig sind, dazu gebracht habe, ihr Maßnahmen-Regime in absolutem Gleichklang und vermeintlichem Interessensausgleich zur Unterdrückung der Weltbevölkerung zu takten; nicht nur „totalitär“ sei diese Weltregierung, sondern es sei ein „globaler Hyper-Faschismus“, ein „weltweiter Virenfaschismus“ und dergleichen mehr.
Nun dient tatsächlich Corona den Hauptimperialisten zur Verschleierung der übergreifenden verheerenden ökonomisch-politischen Krise. Die Fortschreibung dieser neu aufgewärmten Totalitarismusdoktrin ist nun aber: plötzlich soll die „totalitäre Weltregierung“ eigentlich eine amerikanisch-chinesische Firma sein.
Die real sich zuspitzende Konfrontation gegen China und die anderen spricht natürlich eine andere Sprache. Tatsächlich ist das Metaphysik, weil das Wirken supranationaler Institutionen hier ebenso verabsolutiert wird wie die Staaten gegen ihre Klassengrundlagen verabsolutiert werden.
Das begann übrigens „von links“ mit den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg, wo bereits gegen Putin, Xi Jing Ping und die Chefs der BRICS-Staaten, natürlich auch gegen Trump, so protestiert wurde, als seien sie die Repräsentanten einer imperialistischen Weltregierung. Plötzlich war da vom Hauptfeind im eigenen Land keine Rede mehr. Zur Freude der Merkelregierung und der NATO.
Inzwischen reicht es aber aus, diesmal unter anderer Hausnummer, dass China der WHO Geld überweist oder Delegierte in Pandemieübungen schickt, oder einen harten aber kurzen Lockdown macht, und schon wird im Kaffeesatz gelesen, dass eigentlich China sogar der „Vorreiter“ und Taktgeber dieser Weltunterdrückungsmaschinerie sein solle. Während sogar ein Henry Kissinger inzwischen wieder von Systemkonkurrenz spricht, wird hier also nicht nur die „Totalitarismustheorie“, sondern auch die eingemottete „Konvergenztheorie“ wieder hervorgeholt.
Die Merkelregierung und die NATO schlagen sich einmal mehr auf die Schenkel: Es soll ein Keil zwischen Russland und China – und uns! – getrieben werden, indem der antichinesische Feindbildaufbau nun unter etwas anderen, nämlich „coronarebellischen“ Vorzeichen übernommen wird. Zweitens ist dies eine schleichende Abkehr um 180 Grad vom Kampf um eine multipolare Weltordnung, der bis 2019 doch weitgehend Konsens in der Friedensbewegung war.
Schon 1900 hat Rosa Luxemburg ihre Partei aufgerüttelt zur Massenagitation gegen jede antichinesische Politik und Demagogie. Sie sagte angesichts des Chinakrieges:
„Der chinesische Krieg ist das erste Ereignis der weltpolitischen Ära, in das alle Kulturstaaten verwickelt sind, und dieser erste Vorstoß der internationalen Reaktion, der Heiligen Allianz, hätte sofort durch einen Protest der vereinigten Arbeiterparteien Europas beantwortet werden müssen.“
Wir sollten das heute ins Auge fassen, bevor es zu spät sein könnte. Und: Jahre bevor die SPD die Kriegskredite unterzeichnete und in das antirussische Hurrah einstimmte, hat Rosa Luxemburg wieder und wieder ihre Partei aufgerüttelt gegen jede Versuchung zu einer antirussischen Politik. Die, gegen die sie da redete, waren zum Teil jene Parteigenossen, die 1919 ihre und Liebknechts Ermordung verantworteten.
Bleibt unbeirrbar!
Ich habe versucht, zwei Fehler zu beschreiben. Meines Erachtens hilft nur die Entwicklung eines nationalen Krisenprogramms, um aus beiden herauszukommen. Entwickeln wir also unsere Losungen unbeirrt aus dem weltpolitischen Hauptwiderspruch zwischen angreifenden Imperialisten und den Kräften, die sich deren Diktat nicht unterwerfen. Erlernen wir, im vollen dialektischen Sinne des Wortes, unsere Abwehrkämpfe in dieser Krise auch wieder gezielt gegen die Hauptfeinde im eigenen Land zu richten.
Die geplünderten Völker im Gefängnis von Eurozone und EU werden es uns danken. Würden wir diese Grundlinie verlassen, würden unsere Aufrufe, Mahnwachen und Demonstrationen, um schließlich Goethe doch noch in sein Recht zu setzen, nicht zu einer „Synthese“ führen, die die Massen in ihren konkreten Interessen berührt und ergreift, sondern zu einer bloßen Aggregation, einem beziehungslosen Nebeneinander von Sprüchen, Parolen und abstrakten Utopien. Und damit würden sie der Spaltung und Provokation von innen und außen wehrlos ausgeliefert.
In diesem Sinne, mit Karl und Rosa:
Frieden und Kooperation mit Russland UND China!
Kein Aufmarschgebiet gegen Russland!
Raus aus der NATO – NATO raus!
Nein zur EU!
Trotz alledem und jetzt erst recht:
Hoch die internationale Solidarität!
Klaus Linder ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bildergalerie
Fotos: Bruno Jeup
Eine kurze Video-Dokumentation von Frank Kriester inklusive der Redebeiträge gibt es hier:
Beitragsbild oben: Foto von Bruno Jeup
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der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e.V. (GRH)
Polizeiwillkür stoppen – Solidarität mit der FDJ
Die LL-Demonstration zum Friedhof der Sozialisten am 10. Januar 2021 in Berlin wurde durch brutalen Polizeieinsatz gestört. Für die martialisch aufgestellten Polizeikohorten war das Blau der FDJ-Fahnen und der Hemden der FDJ Anlass, massiv in den Ablauf der Demonstration einzugreifen. Im Einklang mit der Rechtslage verweigerten die Jugendlichen die Herausgabe der Fahnen. Weitere Teilnehmer solidarisierten sich mit ihnen; andere versuchten zu vermitteln. Die Polizei entzog sich jeglicher deeskalierender Gespräche und provozierte durch äußerste Gewaltanwendung schwere Auseinandersetzungen. Sie entriss den Demonstrierenden die FDJ-Fahnen, zerrte brutal Teilnehmer aus den Reihen der Versammelten, schlug und setzte Pfefferspray ein.
Das Verhalten der Berliner Polizei ist rechtswidrig und unverhältnismäßig. Sie setzt damit eine unselige Tradition gegen linke Kräfte in Deutschland fort:
· Die FDJ ist im Osten Deutschlands nicht verboten, demzufolge auch nicht ihre Symbole.
· Das Verbot der FDJ im Westen ist nach heutigem Verständnis rechtsstaatswidrig; spätesten mit Ende des Kalten Krieges war es obsolet.
· Das Tragen von Blauhemden durch wenige dutzend TeilnehmerInnen einer Demonstration von mehreren tausend Menschen kann nicht als Uniform im Sinne des Versammlungsgesetzes (VersG) gewertet werden. Im Übrigen wurden in jüngster Vergangenheit Demonstrationen der FDJ von der Polizei sogar eskortiert.
· Jeglicher Polizeieinsatz muss angemessen und verhältnismäßig sein. Dieses Gebot wurde im vorliegenden Fall gröblich verletzt.
· Im Interesse eines friedlichen Ablaufs eines Aufzuges wird nach dem Versammlungsrecht ein Zusammenwirken von Verantwortlichen eines Aufzuges und der Polizei zur Pflicht gemacht. Dem hat sich die Leitung des Polizeieinsatzes verweigert.
Das Versammlungsrecht ist nach dem Grundgesetz (Art. 8) und der Berliner Verfassung (Art. 26) ein garantiertes Grundrecht. Es ist Aufgabe der Berliner Polizei, dieses Recht zu gewährleisten.
Mit dem Polizeieinsatz wurde die Wahrnahme dieses Grundrechts verletzt. Es wurden rechtswidrige Forderungen erhoben, der Einsatz war grob unverhältnismäßig, durch die polizeilichen Maßnahmen wurden die Demonstrierenden zusammengedrängt, und der planmäßige Abmarsch verzögerte sich um nahezu eine Stunde. Gesetzliche Hygienevorschriften konnten nicht eingehalten werden; d.h. die Polizei gefährdete die Gesundheit von TeilnehmerInnen.
Nach dem VersG (§ 21) macht sich u.a. strafbar, wer bei nicht verbotenen Aufzügen Gewalttätigkeiten vornimmt oder grobe Störungen verursacht. Abgesehen von Körperverletzungen sind beim Polizeieinsatz am 10. Januar nicht nur Dienstrechtsverletzungen zu prüfen, sondern ist auch der Verdacht von Straftaten nach dem VersG gegen Verantwortliche naheliegend.
Die GRH fordert vom Senat, vom Innensenator und der Polizeipräsidentin,
den Polizeieinsatz gegen die LL-Demonstration konsequent zu untersuchen,
die Verantwortlichen für das rechtswidrige Vorgehen zur Rechenschaft zu ziehen,
Schlussfolgerungen aus diesen Vorkommnissen und früheren zu ziehen (z. B. wurden 2018 ebenso rechtswidrig KPD-Fahnen eingezogen und in einer Dienstaufsichtsbeschwerde gerügt),
die Öffentlichkeit über die Ergebnisse umfassend zu informieren.
Die GRH erwartet, dass die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht, den Verdacht von Straftaten durch Polizeiangehörige zu untersuchen, nachkommt.
Die GRH erklärt ihre uneingeschränkte Solidarität mit der FDJ, mit den zu Unrecht verfolgten TeilnehmerInnen und steht der traditionsreichen Jugendorganisation in ihrem gerechten Kampf gegen Willkür und Diskriminierung, für Frieden und gesellschaftlichen Fortschritt zur Seite.
Hans Bauer
Vorsitzender der GRH
Hans Bauer ist Mitglied im Berliner Freidenker-Verband
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Wir dokumentieren im folgenden die Rede, die Dr. Matthias Werner, Präsident des Kuratoriums Ostdeutscher Verbände e.V., am 05.Januar 2021 in Berlin hielt anlässlich der Übergabe der Spenden, die auf das Sonderkonto der Glinka-Gesellschaft eingegangen waren, an Oleg Eremenko, Vertreter des Verbandes der russischen Offiziere, zur Weitergabe an die russischen Kriegsveteranen. Anlass war der Jahrestag der sowjetischen Offensive und des Zurückschlagens der vor Moskau stehenden Truppen der Deutschen Wehrmacht.
Verehrte Anwesende, liebe russische Freunde
Am 22. Juni 2021 jährt sich zum 80zigsten Mal der Tag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion. Mit allen friedliebenden Menschen verbinden wir dieses geschichtsträchtige Datum mit dem Dank an unsere Befreier vom Faschismus, besonders an die Angehörigen der Sowjetarmee. Die Sowjetunion hat mit 27 Millionen Toten und einem von den Faschisten verwüsteten Land den größten Beitrag für die Befreiung Europas geleistet. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, war eine der wichtigsten Schlussfolgerungen nach dem Sieg über das verbrecherische „Hitlerdeutschland“.
Wir danken den Völkern der Sowjetunion für ihren heldenhaften und opferreichen Kampf zur Befreiung der Völker Europas von der faschistischen Barbarei. Wir würdigen die heutige Rolle Russlands für die Erhaltung des Weltfriedens gegen die imperialen Interessen der USA, der NATO und der BRD.
Die noch heute in Russland lebenden 75 hochbetagten Veteraninnen und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges sollen mit einer Spende zum russischen Neujahrsfest bedacht werden. Sie waren dabei und haben unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit mitgeholfen, Europa von der braunen Pest zu befreien.
In sehr kurzer Zeit wurden etwas mehr als 100.000 Euro Spendengelder gesammelt, die wir heute am russisch-orthodoxen Weihnachtsfest an die Veteranen Russlands, stellvertretend für alle Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, dem Vertreter der Vereinigung der russischen Offiziere Herrn Oleg Eremenko im Beisein von Vertretern der Botschaft Russlands übergeben.
Unser Dank kommt aus tiefsten Herzen.
Wir, die Vertreter des Kuratoriums Ostdeutscher Verbände e.V. und deren Sympathisanten stehen stellvertretend für viele Vereine, Organisationen und Bürger Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, die zu dem Spendenergebnis beigetragen haben. Dank vor allem den Freunden und Mitgliedern der Glinka- Gesellschaft.
Wir wollen mit der Spendenübergabe ein Zeichen setzen und fordern an diesem Platz: Beendigung der Sanktionspolitik der EU und der Bundesregierung gegenüber Russland, stattdessen Frieden mit Russland, Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Dr. Matthias Werner
Präsident des OKV
Dr. Matthias Werner ist Mitglied im Berliner Landesverband der Freidenker und Beiratsmitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes. Der Berliner Freidenker-Verband ist Mitglied im OKV.
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Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,
zu den Weihnachtsfeiertagen versandte ein Freidenker-Genosse aus Niedersachsen folgende Botschaft, von der wir fanden, sie „bringt die Dinge auf den Punkt“:
„Die vielleicht perfideste und effizienteste Herrschaftstechnik des Merkelregimes besteht im Aufeinanderhetzen scheinbar widerstreitender politischer Strömungen und Richtungen. Das was mit dem Showkampf ‚Lauterbach-Drosten-Wissenschaftsapparat-Antifa-Grüne‘ vs. ‚Coronaleugner-Impfgegner-Religiöse-Konservative‘ bereits seit Monaten am Kochen gehalten wird, soll nun in die privatesten Bereiche vordringen und dort zur nicht entscheidbaren Entscheidung gebracht werden. Das Weihnachtsfest wird nicht allein durch die bizarren Corona-Verordnungen erledigt, sondern zusätzlich durch die nun von allen verlangte Positionierung unterm Weihnachtsbaum: „’Wie hältst Du es mit den Coronamaßnahmen? Dafür oder dagegen? Pro oder contra Impfen? Drosten oder Streeck? Lockdown light, hard oder medium?‘ Die Eskalation ist vorprogrammiert, weil der Streit nach den Vorgaben der Inszenierung von oben erbittert geführt werden muss. ‚Schlafschaf oder Covidiot‘? Darunter geht es nicht. Nachdenkliches, Ausgewogenes, Bedachtes ist nicht mehr erlaubt. Es darf eben nicht auffallen, dass der entscheidende Widerspruch ganz woanders verläuft: Zwischen oben und unten. Zwischen den oberen Zehntausend, ihrer Regierung, ihrem Wissenschaftsapparat, ihrer Lügenpresse, ihrer politischen Showarena mit ihrer loyalen Scheinopposition auf der einen und den ausgeplünderten Volksmassen auf der anderen Seite. Diesen Widerspruch kann man zeitweise vernebeln, auf Dauer wird das nicht funktionieren, weil Frau Impfbefürworterin und Herr Impfgegner irgendwann auch wieder über andere Dinge miteinander reden werden, z.B. den Rentenbescheid, das Schulchaos und die kommende exorbitante Strom-/Gasrechnung. Und vielleicht auch über das Versagen der Merkelregierung, Impfen hin oder her.“
Eigentlich haben wir dem nichts hinzuzufügen, außer unsere besten Wünsche, dass Ihr alle die Widerstandskraft, Ruhe und auch Gesundheit bewahrt habt, um gegen Sirenengesänge, sich in die immer vehementer ausgetragenen „vertikalen“ Spaltungen von oben hineinreißen zu lassen, geschützt zu bleiben. Diese Spaltungen bringen die realen, in der nun abrollenden Krise immer heftiger werdenden Widersprüche zwar zum Ausdruck, aber sie verschleiern sie zugleich. Und sie lähmen zusätzlich zu allen verhängten Schikanen unser aller Handlungsfähigkeit und Zielgerichtetheit. Es wurde oft gesagt, und es stimmt: „Corona“ war in diesem Jahr Katalysator, Brandbeschleuniger für die unversöhnlichen Gegensätze, für die Fäulnis des Imperialismus auf allen Ebenen, international und gerade auch hier in Deutschland, und damit auch der EU. Es gibt keinen Aspekt des Coronageschehens, der den Gegensatz zwischen imperialistischen Ländern und dem nichtimperialistischen Lager nicht noch deutlicher hervortreten liess; auch den Gegensatz zwischen kapitalistischer Anarchie und gesellschaftlicher Planung. Uns allen ist bewusst: Die Menschenfeinde lassen nicht locker, sie können nicht mehr zurück zu demokratischer erscheinenden Herrschaftsformen, der Klassenangriff von oben wird noch brutaler werden. Für die kapitalistischen „Herren und Damen der Welt“ geht es inzwischen ums Ganze. Illusionen, dass die herrschenden Klassen nach einem wie auch immer denkbaren „Verschwinden“ des Corona-Ausnahmezustands wieder zu einer vermeintlichen „Normalität“ in der Lage wären, anders als über einen autoritären Maßnahmenstaat die Macht ausüben könnten, sollten wir uns nicht machen. Unsere Klassenerfahrung ist: Solche „Normalität“ hat es auch vor Corona nicht gegeben. Schon stimmt Karl Lauterbach (SPD) darauf ein, dass dieselben „Opfer“, die „wegen Corona“ „gebracht“ werden müssten, in unabsehbare Zukunft hinein denn auch „für das Klima“ zu verlangen seien („Wir brauchen Freiheitsbeschränkungen analog zur Corona-Krise“…). Die Bourgeoisie wird ohne immer neu verpackte Beschwörungen einer Volksgemeinschafts-Ideologie nicht mehr ihre Herrschaft ausüben. Das müssen wir durchbrechen helfen.
Im oben beschriebenen Sinne wünschen wir Euch und uns allen, friedlich ins Jahr 2021 zu kommen. Wir bedanken uns bei allen, die auch 2020 dazu beitrugen, dass wir ein Verbandsleben weiterführen konnten; die unsere trotzdem noch stattfindenden Versammlungen besuchten, dort ihre Gedanken und Erfahrungen einbrachten und uns damit vor dem politischen Lockdown bewahrten. Wir bedanken uns bei allen, die trotz Lockdowns aktiv zu den Kundgebungen beitrugen, zu denen wir aufriefen, und die dort die Positionen des Freidenkerverbandes verantwortungsvoll vertraten. Wir möchten uns auch bei allen bedanken, die weiterhin ihre Anregungen mitteilen, insbesondere für die Gestaltung unserer Programme im kommenden Jahr. Und ganz besonders bedanken wir uns bei denen, die uns weiter verbunden blieben, obwohl Sorge um die Gesundheit oder tatsächliche Probleme sie von der physischen Teilnahme an Begegnungen abhielten.
Wir möchten diesen Neujahrsgruß mit einem Zitat beenden, das wohlbegründet ermutigt, revolutionäre Gelassenheit, sogar eine gewisse Heiterkeit zu bewahren. Es stammt von Karl Marx:
„Im vollen Bewußtsein ihrer geschichtlichen Tendenz und mit dem Heldenentschluß, ihrer würdig zu handeln, kann die Arbeiterklasse sich begnügen, zu l ä c h e l n gegenüber den plumpen Schimpfereien der Lakaien von der Presse wie gegenüber der lehrhaften Protektion wohlmeinender Bourgeoisiedoktrinäre, die ihre unwissenden Gemeinplätze und Sektierermarotten im Orakelton wissenschaftlicher Unfehlbarkeit abpredigen.“
In diesem Sinne – Euch allen einen guten Rutsch!
Der Landesvorstand der Berliner Freidenker
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