Und mit dem „langweiligen Mädchen“ meint Putin ganz gewiss nicht Sacharowa, die gestern hier zu bewundern war.
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Es wäre schön, wenn uns neben der politisch so bedeutsamen Aussage Putins, auch sein Hinweis auf Ilf & Petrow interessieren würde. Ilf & Petrow („Zwölf Stühle“ (1928), „Das goldene Kalb“ (1931)), das ist Meistersatire. In Russland/der Sowjetunion gab und gibt es nicht nur Gogol für das 19. Jahrhundert und Bulgakow für das zwanzigste. Namen wie Andrej Platonow („Makar im Zweifel“ 1931), Jewgenij Schwarz („Der Drache“ (1943)), Daniil Charms („Fälle“ („Paradoxes“ 1983)) – ich nenne nur die, die ich selbst kenne und liebe – stehen für einen literarischen Kontinent des Satirischen und Surrealen, ohne den Europas Kultur ein Torso bleibt.
Und bitte unbedingt zuerst die Werke selbst lesen! In den literaturwissenschaftlichen Interpretationen geht es allzu oft und allzu zweckbestimmt um (literatur)politische Einordnungen.
Während der Friedensfahrt 2016 habe ich Andrej Platonows Grab auf dem armenischen Friedhof in Moskau besucht.
Der folgende Text von Robert Steigerwald gehört durchaus in den Themenumkreis unseres nächsten Freidenkergesprächs „Wie wollen wir leben?“.
Zunächst benennt Steigerwald den „Komplex der vorhandenen globalen Probleme“ in seiner Widersprüchlichkeit und charakterisiert ihn an Hand von etwa zehn Kennzeichen. Er führt vier Gründe an zum Beweis, dass „die Probleme, die die gegenwärtige Situation kennzeichnen, sich grundsätzlich von allem unterscheiden, was uns aus der Vergangenheit bekannt ist“. Die skizzierten Probleme, so Steigerwald, terndieren zu krisenhafter Zuspitzung. „Unter dem Blickwinkel einer Perspektivprognose lässt sich alles, was oben gesagt wurde, in Form einiger Wahrscheinlichkeitsszenarien darstellen“, erklärt der Autor und stellt vier solche Szenarien vor.
Die kritische Sichtung dieser Szenarien bringt Steigerwald zu dem Schluss, dass „unter den rückwirkenden Faktoren … subjektive Aspekte des Kampfes zwischen den fortschrittlichen und reaktionären Kräften der Welt eine ausgesprochen große Rolle (spielen)… Deshalb muss der Forscher unbedingt den normativen Aspekt und vor allem solche Faktoren wie die Zielsetzungen, die Planungen, die laufenden Entscheidungen politischen Charakters in Betracht ziehen.“
Und weiter: „Wenn man auf dem Boden einer wissenschaftlichen Prognose bleibt, muss man sich unweigerlich auf ganz allgemeine, grundsätzliche qualitative Charakteristika jener Welt der Zukunft beschränken, die man sich wünschen kann. Die ausschlaggebende Charakteristik setzt sich aus folgenden Parametern zusammen.“ Folgend werden 16 Parameter formuliert.
Ein schon etwas älterer Diskussionsbeitrag, der gleichwohl viele bedenkenswerte Anregungen enthält.
Der Komplex der vorhandenen globalen Probleme lässt sich in ganz allgemeiner Form als objektiv bestehender und subjektiv zunehmend erkannten Widerspruch zwischen dem gegenwärtigen Zustand der Natur, der Weltwirtschaft, der Kultur und der Politik (einschließlich der internationalen Beziehungen und der Tätigkeit der internationalen Organisationen) und dem real möglichen Zustand charakterisieren, der sich aus der Sicht der Interessen von Milliarden Menschen, ausnahmslos aller Völker, ja der ganzen Menschheit von dem jetzigen weitestgehend positiv unterscheidet.
Kennzeichnend für den gegenwärtigen Zustand sind:
– das Weiterbestehen haarsträubender sozialer Ungerechtigkeit, sozialer Ungleichheit, der Unterordnung des Menschen und der Unterdrückung der Persönlichkeit in weiten Gebieten der Welt;
– die wachsenden Ausmaße des Wettrüstens, das nicht nur einen immer größeren Teil der menschlichen Arbeit und ihrer Produkte beansprucht, sondern auch die Gefahr vergrößert, dass die Menschen in einem neuen Weltkrieg in Massen sterben werden;
– die Armut des weitaus größten Teils der Erdbevölkerung und der Umstand, dass eine große Anzahl von Menschen am Rande eines Hungerdaseins lebt beziehungsweise im wahrsten Sinne des Wortes am Hungertuch nagen muss;
– die Erschöpfung leicht zugänglicher Vorräte an Bodenschätzen und die (infolge eines ganzen Komplexes komplizierter ökonomischer und politischer Ursachen) stürmisch wachsenden Energie-, Rohstoff- und Materialkosten;
– die zunehmende Verschmutzung der Umwelt, die für das Leben und die Gesundheit der Menschen ausgesprochen negative Folgen hat;
– wachsende Arbeitslosigkeit, von der gegenwärtig, (zusammen mit den Familienangehörigen der Erwerbslosen) viele Hunderte Millionen Menschen betroffen sind, ganz zu schweigen von der so genannten versteckten Arbeitslosigkeit in den ländlichen Gebieten, die eine noch größere Anzahl von Menschen erfasst;
– spontane Urbanisierung, widernatürliche Konzentration gigantischer Menschenmassen in den Großstädten einerseits und der Verfall der Dörfer andererseits, wobei die Auswirkungen für die Wirtschaft, Ökologie, Kultur und soziale Psychologie der Menschen in beiden Fällen äußerst negativ sind;
– akute Unzulänglichkeit des Systems der Volksbildung und gigantische Ausmaße des Analphabetentum sowie allgemein recht niedrige physische, soziale, alltägliche und geistige Kultur der Menschen;
– akute Unzulänglichkeit des Gesundheitsschutzes und vorzeitiges Massensterben von Menschen (ganz besonders von Kindern);
– wachsende Ausmaße asozialer Erscheinungen („abweichendes Verhalten“), einschließlich der Rauschgiftsucht, des Rowdytums, der Korruption, der Schwarz Märkte, der Kriminalität und so weiter
Hinzufügen muss man noch die ungenügende Effektivität der Tätigkeit der internationalen Organisationen, denen man mehr Autorität wünschen möchte und von denen man konstruktivere und wirksamere Aktivitäten erwarten darf.
Die gegenwärtige Wirklichkeit erscheint Weltmaßstab tendiert in ihren Grundaspekten in ihren wichtigsten Elementen dazu, dass die gegenwärtige problembeladene Situation in eine kritische hinüberwächst. Man muss darauf hinwirken, dass die internationale Öffentlichkeit die Probleme wie die oben dargelegten erkennt und einen aktiven Kampf für deren Lösung entfaltet. Es liegt auf der Hand, dass die Probleme, die die gegenwärtige Situation kennzeichnen, sich grundsätzlich von allem unterscheiden, was uns aus der Vergangenheit bekannt ist.
Nach der Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum US-Angriff auf Syrien vom 6.4.2017, die wir hier dokumentierten, erreichte uns heute eine Erklärung der Berliner Friedenskoordination (Friko), die wir nachfolgend veröffentlichen (Schreibfehler sind stillschweigend berichtigt):
Wer am vergangenen Mittwoch (5.4.) in der ZDF-Sendung Markus Lanz den Ausführungen des renommierten Syrien-Experten Dr. Michael Lüders zugehört hat, war Zeuge einer Sensation. Lüders berichtete von seinen Recherchen zum verheerenden Giftgasangriff auf das syrische Ghuta am 21. August 2013 mit 1.400 Toten. Die US-Regierung unter Barack Obama sei mit ihrem Urteil über die Urheberschaft schnell bei der Hand gewesen: die syrische Regierung sei es gewesen. 2012 schon hatte Obama für den Fall des Giftgaseinsatzes der syrischen Regierung militärische Konsequenzen angedroht. Nun schien die „rote Linie“ überschritten. Obama zog Truppen zusammen und der Angriff auf Syrien drohte. Lüders‘ Recherchen ergaben jedoch, dass US-Geheimdienste Obama vor dem Angriff warnten, deshalb, weil herauskam, dass das eingesetzte Sarin – aufgrund seiner Zusammensetzung – nicht aus dem syrischen Arsenal stammte. Zusätzlich sei den US-Geheimdiensten am 20. Juni 2013 bereits bekannt geworden – das ist die Sensation – dass der türkische Geheimdienst MIT den syrischen Al-Kaida-Ableger al-Nusra Sarin zukommen lassen hatte, und Al-Nusra in der Lage gewesen sei, diesen geächteten Kampfstoff selbst herzustellen. Lüders geht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass beide den Giftgasanschlag von Ghuta zu verantworten haben – jedenfalls mit hoher Bestimmtheit nicht die syrische Regierung. Der US-Angriff blieb damals aus. Nur deshalb, weil Russland Obama vor einem Gesichtsverlust mit dem Angebot retten konnte, dass Syrien dem Chemiewaffenübereinkommen beitrat. In einer aufwendigen Aktion wurden die C-Waffen aus Syrien entfernt und vernichtet. Die damit beauftragte UN-Organisation OPCW erhielt den Friedensnobelpreis.
Wiederholt sich die Geschichte?
Wir wissen es nicht. Am 4.4. erfolgte ein Giftgasanschlag im syrischen Chan Scheichun mit über 80 Toten. Die US-Regierung unter Donald Trump machte flugs den Täter im syrischen Präsidenten Baschar al-Assad fest. Belege dafür hatte sie nicht. Denn bisher liegen keine Ergebnisse vor über die Zusammensetzung des chemischen Kampfstoffs. Die Beschreibungen des Tatvorgangs sind widersprüchlich, selbst die Uhrzeit ist strittig. Die Täter sind nicht ermittelt, geschweige denn besteht Klarheit über das Motiv der Täter. Ohne diese notwendige Untersuchung überhaupt erst einzuleiten, wird der denunzierte Täter flugs bestraft.
Wir verurteilen diesen US-Angriff als Aggression. Es liegt kein Mandat des UN-Sicherheitsrats vor. Die USA sind nicht angegriffen worden, so dass ihre Regierung sich nicht auf Notwehr berufen kann. Der Angriff trifft die Regierung eines Landes, das Mitglied der Vereinten Nationen ist und den Schutz der Völkergemeinschaft genießt. Die US-Regierung bricht hier bewusst das Völkerrecht. Die USA ist Wiederholungstäter. Denn sie tat das schon im Jugoslawienkrieg 1999, im Irakkrieg 2003 und im Libyenkrieg 2011. Und es ist nicht so, dass die Bundesregierung zu diesem neuerlichen Rechtsbruch nur schweigt, nein, sie begrüßt ihn. Das empört uns!
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Völkerrechtsbruch der USA zu verurteilen.
Hier herrscht nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des (vermeintlich) Stärkeren – das Faustrecht. Die USA unterminieren die internationale Rechtsordnung!
Dieser Kriegsakt ist eine US-Machtdemonstration. Er soll einschüchtern. Nicht nur die syrische Regierung, auch Russland, China, den Iran, Nord-Korea und manche andere. Er trägt zur weiteren weltweiten Verunsicherung bei und erschüttert das Verhältnis der ohnehin zerbrechlichen Beziehungen zu den Atommächten Russland und China. Die Trump-Regierung muss darin gestoppt, nicht ermuntert werden!
Die US-Aggression trägt nicht zur Beruhigung des Syrienkrieges bei, denn die Forderungen der Dschihadisten an die USA, den Bombenkrieg auf andere Luftwaffenstützpunkte auszuweiten, stehen einer Verhandlungslösung diametral entgegen. Dabei ist klar, dass dieser erbittert geführte zähe Krieg sobald wie möglich durch Verhandlungen beendet werden muss.
Und wenn sich die Geschichte doch wiederholt? Wir wissen es nicht. Erst die Zukunft wird es möglicherweise zeigen.
Augenfällig ist schon, dass der Zeitpunkt des Giftgasanschlags unmittelbar vor dem Beginn einer internationalen Syrien-Konferenz erfolgte. Die dort versammelten Außenminister der Anti-Assad-Front verurteilten die syrische Regierung und forderten den Abgang Assads. Syrien sei nur ohne ihn als Präsident vorstellbar. Kann die syrische Regierung Urheber dieser Tat sein, wenn sie damit rechnen muss, dass sie einzig Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner ist?
Ein kleiner Schritt für Frankfurts Bürgermeister, ein großer Sprung für deutsche Normalisierer: Uwe Becker (CDU) demonstriert neues-altes Selbstbewusstsein und erklärt jüdische und andere Israelkritiker kurzerhand für »nicht willkommen« in seiner Stadt. Zu den unerwünschten Personen gehört der israelische Historiker und Sohn von Holocaust-Überlebenden Moshe Zuckermann, der in Frankfurt aufgewachsen ist. M&R bat ihn um eine Replik.
Vom 9. bis 10. Juni 2017 sollte in Frankfurt am Main eine Konferenz mit dem Titel »50 Jahre israelische Besatzung. Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts« stattfinden. Veranstalter ist der Deutsche Koordinationsrat Palästina Israel (KOPI). Teilnehmen sollten Referenten aus Israel, Palästina und Deutschland. Die Konferenz wird, so wie es momentan aussieht, nicht abgehalten werden können. Sie ist bereits im Vorfeld abgewürgt worden. Eine Welle von Hass-Mails aus aller Welt und eine Diffamierungskampagne, deren Urheber auch vor Gewaltandrohungen nicht zurückschrecken, haben den Vermieter des Saals, in welchem die Konferenz stattfinden sollte, dazu bewogen, seinen Vertrag mit den Organisatoren zu annullieren und der Forderung nach einem Raumverbot nachzugeben. Warum? Weil die Veranstaltung als »antisemitisch« stigmatisiert worden ist. Von wem? Nun, diese Frage ist komplexer zu beantworten.
Es handelt sich um eine Konstellation von »Antisemiten-Jägern«, wie sie sich selbst gern apostrophieren, die mit dem real existierenden Antisemitismus nicht sehr viel zu schaffen haben, sich dafür aber umso gründlicher aufs Jagen spezialisiert haben. Da wäre zunächst die sogenannte Israel-Lobby, bestehend aus Vertretern der jüdischen Gemeinden in Deutschland mit der Rückendeckung der israelischen Botschaft, mithin des verlängerten Arms des israelischen Außenministeriums. Da wären die Reste der Randerscheinung der sogenannten »Antideutschen«, einer ehemaligen linken deutschen Bewegung, die es heute mittlerweile in Sachen überbordender Israelliebe und -solidarität mit jedem israelischen Faschisten aufnehmen kann. Da wären zudem das Medienestablishment, das sich mit der offiziellen Israelpolitik Deutschlands politischer Klasse darin verschwistert weiß, dass es Israels Politik nie konsequent kritisieren würde und, wie in diesem Fall der haarsträubenden Denunzierung, zumeist betreten wegschaut, wenn die Lappalie einer Verteidigung der freien Meinungsäußerung ansteht. Wer will schon »Antisemiten« verteidigen? Und es geht, wie gesagt, um die politische Klasse Deutschlands, die in diesem Fall vom Frankfurter Bürgermeister und Stadtkämmerer Uwe Becker (CDU) vertreten ist.
Weiterlesen hier, auf der Webseite von „Melodie und Rhythmus“.